Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
Vom Netzwerk:
Aber keine Sorge. Wenn wir uns das nächste Mal sehen. In zwei, drei Tagen.«
    Ich legte eine Platte von Frank Sinatra auf. Wir tranken eine gute Weile, ohne zu reden, und hörten zu. Bisschen arg sentimental. Am Ende sagte sie:
    »In einem früheren Leben war ich Nonne, aber mit der Seele einer Kabarett-Tänzerin, und ich hatte eine ganz lange Liebschaft mit dem Pfarrer der Gemeinde dort. Aber ohne dass wir uns angefasst hätten. Nur mit den Augen. Wir sahen uns in die Augen und redeten. Das war für uns Sex. Meine Schenkel wurden schon feucht, wenn ich nur seine Stimme hörte. Genau das wünsche ich mir: einen Mann, der redet, der mir vertraut und der mir zuhört, der alles verstehen kann. Ich möchte gern treu sein. Nur einen Mann haben. Ich weiß, diese Nonne ist immer noch in mir. Ich spüre das. Manchmal unterhalten wir uns.«
    »Woher weißt du das alles, Miriam?«
    »Weil es so gewesen ist.«
    Sie leerte ihr Glas, zog sich an und ging. Sie musste vor sechs Uhr abends zu Hause sein.

Puppe
    Es war ein Nachmittag Ende Oktober, bleiern, feucht und kühl. Vor dem Haus kamen mehrere Typen mit ihrem Angelgerät vorbei, und ich dachte: ›Ein Fischer muss den Moment nutzen.‹ Ich nahm meine Angel, brachte zwei Blinker an und ging den Hügel hinunter zum Strand. Abends zuvor war im Fernsehen ein Hurrikan gemeldet worden, der über die Karibik hinwegfegte, von Osten nach Nordosten und weiter auf den Atlantik hinaus. Das schlechte Wetter im Oktober ist sehr gut zum Fischen. Solche Wirbelstürme treiben die Fische zur Küste. Oder die Fische fliehen vor dem Sturm. Weiß nicht. Jedenfalls beißen sie in Ufernähe, und man muss dort sein.
    Es herrschte eine starke Dünung und es gab Windböen. Vier Typen fischten zusammen. Je zwei Meter voneinander entfernt, an einem Strand von fünfzehn Kilometern Länge. Das geht mir total auf den Sack. Wenn sie bei einem anbeißen, kreuzen gleich zwei oder drei andere auf und hängen sich an den Glücklichen ran. Sie wissen nicht, dass das Glück dem gehört, der es findet, und nicht dem, der es sucht.
    Ich lief ein gutes Stück weiter. Dann befestigte ich ein kleines Blei. Ich ging hüfttief ins Wasser und warf die Angelschnur aus. Grundseen haben eine gewaltige Kraft. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ich ging noch etwas weiter hinein. Brusttief. Der Strand hat mindestens einhundert Meter weit sandigen Untergrund, vom Ufer bis dort, wo es tief wird. Das ist gut. Nach zwei Minuten biss eine mittelgroße Meeräsche an. Dann eine große Meeräsche. Dann noch eine mittelgroße. Ich spürte, wie mir das kalte Wasser die Muskeln verkrampfte. Dann biss etwas Größeres an, das mich in Bewegung brachte, und ich schaffte es, das Ding rauszuholen. Es war ein Wrackbarsch, etwa fünf Kilo schwer. Verdammt gut. Ich stieg aus dem Wasser. Ich wärmte mich ein wenig auf und ging wieder rein. Es war nun sehr dunkel, und die Dünung war, wie mir schien, noch stärker geworden. Ich stieg erneut aus dem Wasser und band den Eimer mit den Fischen an einer Kokospalme fest, damit die Wellen ihn nicht wegreißen konnten. Ich blieb noch eine halbe Stunde drin. In der Zeit fing ich zwei Äschen und eine Brasse, zwei Kilo schwer. Besser geht’s nicht. Die Nacht brach herein, und ich machte Schluss. Die Dünung hatte weiter zugenommen und brüllte geradezu. Wenn der Sturm vorüber war, würde es einen guten Fang geben. Das Wasser überflutete schon den schlaglochübersäten Weg mit dem rissigen Asphalt, der von der Hauptstraße an den Strand führt.
    Eine Glühbirne hoch oben an einem Pfahl warf gelbliches, schwaches Licht. Man konnte gerade genug erkennen, um zur Hauptstraße zu finden, die in etwa zweihundert Metern Entfernung parallel zum Strand verläuft. Es war keine Menschenseele zu sehen. Wenn man den Weg hinaufgeht, liegt rechts ein Grundstück voller Schlamm und Unkraut, in dessen Mitte ein altes, baufälliges Holzhaus steht. Es sieht aus, als könnte es jeden Augenblick in sich zusammenfallen. Dort lebt eine Frau zwischen sechzig und siebzig. Recht rüstig und redselig. Wir sagen uns immer Guten Tag. Jetzt steht sie im Hauseingang und ruft mich.
    »He, junger Mann, komm mal her, kannst du kurz mit anpacken?«
    Über der Tür sieht man noch eine geschliffene Glasscheibe mit dem Baujahr: 1925. Das Wasser fließt rund um das Haus und dringt durch alle Ritzen. Ich stapfte durch den Matsch bis zum Eingang. Mir ging durch den Sinn, dass der Bauherr ein Idiot oder ein Betrüger gewesen sein

Weitere Kostenlose Bücher