Kein Erbarmen
aus.
Tabori schätzte den Mann auf ungefähr Fünfzig, vielleicht drei oder vier Jahre älter als er selber. Aber nicht schlecht in Form, zumindest bevor ihm jemand das hier angetan hatte.
»Ich kann noch nichts Konkretes sagen«, meldete sich der Gerichtsmediziner zu Wort, Dr. Ulrich C. Bohnenkamp, gerade mal Mitte dreißig, stellvertretender Leiter der Pathologie am Gerichtsmedizinischen Institut und Lehrbeauftragter der Universität mit eindeutigen und erschreckenderweise nicht mal unrealistischen Ambitionen auf eine Professur. »Ich bin noch nicht so weit. Ich hab ihn erst heute Vormittag auf den Tisch gekriegt.«
Tabori brauchte nur die näselnd-arrogante Stimme zu hören, um augenblicklich wieder die alten Aversionen gegen den Pathologen zu spüren. Jeder Satz von Bohnenkamp klang, als wäre es eine Zumutung, dass er überhaupt etwas sagen sollte, als wüsste er weiß Gott Besseres mit seiner Zeit anzufangen. Genau diese Typen sind es immer wieder, die mich mit ihrer Selbstherrlichkeit zur Weißglut treiben, dachte Tabori, eine Generation von Zynikern, die nur ihre Karriere im Kopf haben und jeden, der nicht in ihrem Golfclub ist, für einen Penner halten.
Bohnenkamp warf Tabori einen Blick zu, der deutlich die Frage beinhaltete: Was willst du hier überhaupt? Du hast hier nichts zu suchen!
Tabori zuckte mit den Achseln: Ich weiß es selber nicht,aber selbst wenn, wärst du der Letzte, dem ich’s verraten würde.
Im gleichen Moment wurde das stumme Zwischenspiel von Lepcke unterbrochen: »Das sind keine Verletzungen, die er sich bei einer Kneipenschlägerei zugezogen hat, oder?«
»Wohl kaum«, bestätigte Bohnenkamp. »Er ist gefoltert worden, so viel ist sicher. Und das wahrscheinlich über viele Stunden. Anhand der äußeren Verletzungen sollte das selbst für Leute wie euch sichtbar sein …«
Ich hab’s gehört, dachte Tabori, für Leute wie euch! Das Fußvolk, bei dem jeder Satz bedeutet, Perlen vor die Säue zu werfen, das meinst du doch, du aufgeblasener Burschenschaftler! Bohnenkamp verlor sich in einem bewusst mit medizinischen Fachausdrücken gespickten Vortrag über die verschiedenen Verletzungen. Lepcke hatte wie üblich eine Hand lässig in die Hosentasche seines maßgeschneiderten Anzugs geschoben und den Blick auf die flackernde Neonröhre gerichtet.
»Ich dreh ihn jetzt nicht extra auch noch um für euch«, sagte Bohnenkamp abschließend, »von hinten sieht er kaum besser aus, das könnt ihr euch ja vielleicht vorstellen. Nur zur Information noch: Ich habe deutliche Verletzungsspuren am After gefunden, mutmaßlich hervorgerufen durch einen Besenstiel oder auch eine Flasche. Das könnte im Übrigen auch die Ejakulation erklären, die er zweifellos gehabt hat.«
Er zeigte nacheinander auf die eingetrockneten Flecken am Penis, an der Innenseite des linken Oberschenkels, im Schamhaar.
Lepcke blickte fragend.
»Ihr wisst schon, dass jemand, der auf Analverkehr steht,natürlich auch zum Höhepunkt kommen kann, wenn nicht er selber sein Ding irgendwo reinsteckt, sondern jemand anders es ihm sozusagen besorgt …«
»Du willst andeuten, dass er möglicherweise schwul war?«, unterbrach ihn Lepcke.
»Nicht zwangsläufig. Ich könnte euch ein paar Geschichten erzählen, was brave Ehemänner sich von ihren biederen Muttis alles in den …«
»Ist schon gut«, sagte Tabori. »Wir wissen, was du meinst.«
»Und die eingerissene Vorhaut?«, fragte Lepcke.
Bohnenkamp zog die Augenbrauen hoch und holte tief Luft.
»Okay, irgendeinen Grund wird es schon haben, dass du bei der Kripo gelandet bist – akzeptiert, das war mir durchgerutscht. Also dann vielleicht Handarbeit, ein bisschen zu brutal ausgeführt, das wäre vorstellbar, passiert nicht oft, aber doch öfter, als man denkt.« Er kicherte unterdrückt. »Vielleicht das Ergebnis einer versuchten Vergewaltigung, bei der jemand bemüht war, unsere Leiche hier in einen Zustand zu kriegen, der es überhaupt erst möglich machte, dass er …«
»Also könnte es auch eine Frau gewesen sein?«, kam es von Lepcke.
»Oder mehrere!« Bohnenkamp kicherte jetzt ganz offen. »Auch da gibt es ja verschiedene Szenarien, die man sich vorstellen kann. Vielleicht hatte er vorher schon mehrmals abgespritzt, und als dann nichts mehr ging …« Er zuckte mit den Schultern. »Frauen können ja unerbittlich sein, wenn sie nicht das kriegen, was sie wollen.«
»Ist gut«, mischte sich Tabori wieder ein. »Schön, ein bisschen was über deine Phantasien zu
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