Tote gehen nicht
Prolog
10. Januar, 9.15 Uhr Klinik am Wald, Euskirchen
Meine Herren«, sagte Marius Hagen, Verwaltungs-Chef der Klinik am Wald , und zeigte auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch, »setzen Sie sich doch.«
Dr. Lutz Winkelmann und Dr. Edgar Schramm tauschten einen Blick. Sie waren nervös. Sie wussten, warum Hagen sie mitten aus der Visite geholt und zu einem Gespräch gebeten hatte. Heute sollte die Entscheidung fallen.
Hagen saß im feinen Zwirn vor ihnen, sah von einem zum anderen und schwieg zunächst bedeutungsvoll. Seine Hände lagen ineinander verschränkt auf dem Schreibtisch. Seine Stirn war sorgenvoll zerklüftet.
Die Kollegen wechselten wieder einen Blick und nickten sich fast unmerklich zu. Wenn sie Hagens Miene richtig deuteten, war der worst case eingetreten: einer der vielen Bewerber von außerhalb war ihnen vorgezogen worden.
Das lasse ich mir nicht gefallen, dachte Lutz.
Da kann man nichts machen, dachte Edgar.
Sie wären am liebsten sofort aufgestanden und gegangen. Hagen konnte sich seine warmen Worte sparen.
Der Verwaltungschef räusperte sich, biss sich auf die Unterlippe und wackelte mit dem Kopf, als wäge er noch ab, wie er es den Herren denn nun erklären sollte, wozu es gut sei, dass sie einen fremden Schnösel als Chef vor die Nase gesetzt bekamen.
Das hätte er sich früher überlegen müssen, dachte Edgar und kontrollierte seine Armbanduhr.
Er wird sehen, was er davon hat, dachte Lutz und kontrollierte die Wanduhr, links neben Hagens Kopf.
Hagen löste seine Hände und trommelte leise auf den Schreibtisch. »Meine Herren«, hob er an, »wie wir alle wissen, geht unser sehr geschätzter Professor Dr. Heribert Röhl Ende dieses Jahres in den wohlverdienten Ruhestand und mit ihm der Chef der Inneren, nicht wahr?«
Beifallheischend sah er von Winkelmann zu Schramm, die beide nicht willens schienen, ihm bei seiner schweren Aufgabe entgegenzukommen. Sie fixierten ihn mit finsteren Blicken.
»Wir, das heißt die Verwaltung, haben die Stelle ordnungsgemäß ausgeschrieben, eine Vielzahl höchst vielversprechender Bewerbungen aus der ganzen Bundesrepublik erhalten und eine Reihe hochinteressanter Gespräche geführt.« Hagen hörte mit dem Fingertrommeln auf und ballte seine Hände zu Fäusten. »Andererseits ist es Professor Dr. Röhls ausdrücklicher Wunsch, dass die Stelle mit einem Arzt aus unserem Hause besetzt wird. Ich denke, er hat mit Ihnen darüber gesprochen, dass er sich am liebsten eine Doppelspitze mit Ihnen beiden wünscht. Ha. Ha.«
Lutz und Edgar grinsten selbstgefällig. So genau hatte Röhl ihnen gegenüber es nicht formuliert, er hatte nur betont, dass er sich dafür einsetzen werde, dass einer von ihnen seine Nachfolge antrat. Aber Doppelspitze – das wäre geradezu ideal! Würde Hagen es wagen, sich über Röhls Wunsch hinwegzusetzen?
Hagen holte die Daumen aus den Fäusten und reckte sie nach oben. »Gerne berücksichtigen wir Dr. Röhls Wunsch. Aber eine Doppelspitze geht schon aus rein finanziellen Gründen nicht. Wir haben ihn also gebeten, sich für einen von Ihnen«, Hagen sah von Lutz zu Edgar, »zu entscheiden.«
Lutz und Edgar verging das Grinsen.
»Prof. Dr. Röhl hat es sich wirklich nicht leicht gemacht. Wenn ich Ihnen hier einige Einzelheiten des Entscheidungsprozesses kurz darlegen dürfte. Sie, Herr Dr. Schramm, haben sozusagen ein gewisses Vorrecht auf den Posten. Sie haben – mit Verlaub – die besseren Examensnoten, sind zwei Jahre länger in unserem Hause und haben Ihrem Mitbewerber erst die Türen geöffnet. Ihnen Dr. Winkelmann sozusagen vor die Nase zu setzen, wäre also nicht besonders kollegial.«
Zwischen Edgar und Lutz breitete sich plötzlich Kälte aus. Sie vermieden es, sich anzusehen.
Hagens Blick schwenkte zu Winkelmann. »Andererseits scheinen Sie, Herr Dr. Winkelmann, ein wenig besser ins Team zu passen. Dr. Röhl hat nicht übersehen, dass die Patienten große Stücke auf Sie halten und zu strahlen beginnen, sobald Sie ein Zimmer betreten. Solche Leute brauchen wir.«
Die Temperatur im Büro sank auf minus 15 Grad. Edgar begann zu frösteln. Lutz schauderte.
»Und es gibt noch viele andere Gründe für oder gegen den einen oder den anderen. Dr. Röhl erklärte sich nach langer Bedenkzeit zu einer Entscheidung außerstande.« Hagen lehnte sich zurück und wartete die Wirkung seiner Worte ab. Edgar lehnte sich ebenfalls zurück, als wolle er das Problem aussitzen.
Lutz dagegen sprang auf und rief:
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