Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
wissen.«
Beth sah zu dem hochgewachsenen Mann auf, der hinter Mather in die Loge getreten war, und ihre Welt stand auf einmal still.
Lord Ian war ein sehr großer, muskulöser Mann, und die Hand, die er ihr reichte und die in einem Kalbslederhandschuh steckte, war riesig. Sein Brustkorb war breit, seine Schultern noch breiter, und in der schummrigen Beleuchtung glänzte sein dunkles Haar rötlich. Sein Gesicht wirkte so hart wie sein Körper, und seine Augen … noch nie zuvor hatte Beth solche Augen gesehen.
Zunächst nahm sie an, sie wären hellbraun, aber nachdem Mather ihn auf den Platz neben Beth gedrängt hatte, sah sie, dass seine Augen golden schimmerten. Nicht etwa haselnussbraun, sondern cognacfarben mit goldenen Sprenkeln, als würden Sonnenstrahlen darin tanzen.
»Das ist meine Mrs Ackerley«, sagte Mather. »Was sagen Sie nun? Ich habe Ihnen ja gesagt, dass sie die schönste Frau Londons ist.«
Lord Ian warf Beth einen raschen Blick zu, dann fixierte er einen Punkt irgendwo in der Ferne. Noch immer hielt er ihre Hand, sein Griff war fest, beinahe schmerzhaft.
Weder hat er Mather zugestimmt noch ihm widersprochen, ein wenig unhöflich ist das schon , dachte Beth. Selbst wenn sich Lord Ian nicht ergriffen an die Brust fasste oder Beth zur schönsten Frau seit Elaine of Camelot erklärte, war er ihnen doch wenigstens eine höfliche Antwort schuldig.
Stattdessen schwieg er eisern. Nach wie vor hielt er ihre Hand und zeichnete mit dem Daumen die gestickten Muster auf dem Rücken ihres Handschuhs nach. In schnellen, kurzen Bewegungen rieb er mit dem Daumen wieder und wieder darüber, und der Druck sandte Beth Hitzeschauer durch den Körper.
»Ich fürchte, er hat Sie getäuscht, wenn er Ihnen versichert hat, ich sei die schönste Frau Londons«, sagte Beth schnell. »Ich möchte mich dafür entschuldigen.«
Lord Ian sah kurz zu ihr herüber und runzelte die Stirn, als hätte er keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Nun zerschmettern Sie die arme Frau doch nicht, MacKenzie«, rief Mather aufgeräumt. »Sie ist so zerbrechlich wie Ihre kostbaren Ming-Schalen.«
»Oh, interessieren Sie sich auch für Porzellan, Mylord?« Beth griff das Thema dankbar auf. »Sir Lyndon hat mir seine Sammlung gezeigt.«
»MacKenzie ist eine Autorität auf diesem Gebiet«, erklärte Mather mit einem Anflug von Neid.
»Sind Sie das wirklich?«, fragte Beth.
Lord Ian bedachte sie mit einem weiteren Blick. »Ja.«
Er saß ihr nicht näher als Mather, dennoch spürte sie seine Anwesenheit überdeutlich: Sein Knie drängte gegen ihre Röcke, sein Daumen presste sich in ihre Hand, und der Blick, mit dem er sie nicht ansah, wog schwer.
Mit diesem Mann würde sich keine Frau wohlfühlen , dachte sie schaudernd. Eine Aufregung würde die nächste jagen. Das erkannte Beth am Druck der großen, warmen Hand, die ihre fest umschlossen hielt, und las es in den Augen, die ihren Blick um jeden Preis mieden.
Sollte sie die Frau bedauern, auf der dieser Blick schließlich ruhen würde? Oder sie beneiden?
Beth plauderte munter weiter. »Sir Lyndon hat eine ganz wunderbare Sammlung. Wenn ich ein Stück berühre, das einst ein Herrscher vor hundert Jahren in den Händen gehalten hat, habe ich das Gefühl … ich weiß auch nicht. Als wäre ich ihm nahe. Es ist eine Ehre.«
Goldene Funken tanzten in Ians Augen, als er sie für einen kurzen Moment ansah. »Sie müssen sich unbedingt meine Sammlung ansehen.« Er sprach mit einem leichten schottischen Akzent, seine Stimme klang tief und rau.
»Gerne, alter Knabe«, sagte Mather. »Ich lasse Sie wissen, wann wir Zeit haben.«
Mather hob das Opernglas an die Augen und nahm die vollbusige Sopranistin ins Visier. Lord Ian richtete seinen Blick auf ihn, und Beth stellte überrascht fest, welch unverstellte Abscheu darin lag. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, beugte sich Lord Ian zu ihr. Die Wärme seines Körpers traf sie wie eine reißende Welle, die den Geruch von Rasierseife und Moschus mit sich brachte. Beth hatte fast vergessen, wie verführerisch der Duft eines Mannes sein konnte, denn Mather ertränkte seinen immer in Eau de Cologne.
»Lesen Sie das, wenn er nicht in der Nähe ist.«
Sein Atem strich über ihr Ohr und weckte Empfindungen in ihr, die neun lange Jahre brachgelegen hatten. Seine Finger glitten in die Handschuhöffnung über ihrem Ellbogen, und Beth spürte ein gefaltetes Stück Papier auf der bloßen Haut. Sie blickte in Lord Ians goldene Augen, die mit einem Mal so
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