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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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sie konnte, auf die beiden zu, die Verstärkung genau hinter ihr. Als sie dort war, hatte Al es schon geschafft, sich gegen den Arzt zu behaupten und von der Brüstung zu steigen. Trotzdem kämpften die beiden Männer verbissen weiter miteinander. Sami sah die Waffe, die der Arzt benutzt hatte, auf dem Dach liegen. Sie hob ihre Glock.
    Â»Doktor Youngblood, auf die Knie und die Hände hinter Ihren Kopf! Und zwar sofort! «
    Wie einstudiert ließen Al und der Arzt voneinander ab. Dr. Youngblood legte seine Hände in den Nacken, doch anstatt auf die Knie zu gehen, sprang er so anmutig auf die Dachbrüstung wie ein Gymnasiast auf einen Schwebebalken.
    Er stand völlig entspannt dort oben, als ob ihm nichts auf der Welt Sorgen bereiten würde und es ein fauler Sonntagnachmittag wäre, an dem er die weite Sicht über die Stadt genoss.
    Â»Doktor Youngblood«, brüllte Sami. »Bitte kommen Sie von der Brüstung runter.«
    Er drehte sich zu ihr um, blieb aber stehen. Das Blut aus seiner Nase war vorn auf seinem OP -Kittel verschmiert.
    Â»Bitte, Doktor, legen Sie Ihre Hände hinter Ihren Kopf, und kommen Sie da runter.«
    Er bewegte sich nicht.
    Â»Letzte Gelegenheit, Doktor«, sagte Sami. »Runter von der Brüstung und auf die verdammten Knie.«
    Â»Was haben Sie vor, Detective, wollen Sie mich erschießen?«
    Â»Wenn wir dazu gezwungen werden«, warnte Sami.
    Â»Dann los, schießen Sie doch.«
    Â»Wollen Sie es wirklich so beenden?«
    Dr. Youngblood drehte sich um, sein Rücken war ihr zugewandt, seine Füße bis an die Brüstungskante vorgeschoben.
    Â»Warum, Doktor?«, rief Sami. »Warum haben Sie all diese Menschen getötet?«
    Â»Das Wohl der Allgemeinheit ist wichtiger als das Wohl des Einzelnen.«

    Julian dachte an Nicole, wie er sie betrogen hatte. Er dachte an seine Töchter, wie sehr er sie liebte und vermisste, wie sehr er sie verletzt hatte. Er dachte an seine Karriere und die Forschungsförderung, sein Vermächtnis war jetzt nicht mehr als ein schlechter Ruf. Doch am meisten musste er an all die Menschen denken, die er früh ins Grab gebracht hatte, an die schrecklichen Gewalttaten, die er seinen weiblichen Probanden zugefügt hatte. In einem klaren Augenblick wurde Julian klar, warum er so brutal über Eva und Rachael und McKenzie und Nicole hergefallen war. Es hatte nichts mit ihnen zu tun gehabt; sie hatten lediglich stellvertretend für Rebecca und Marianne herhalten müssen, waren zufällig Opfer geworden. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben, es seinen Kusinen jemals heimzahlen zu können, was sie ihm an seelischen Grausamkeiten angetan hatten und dass sie seine Familie zerstört hatten durch ihre absurde Anschuldigung, er habe versucht, sie zu vergewaltigen. Er hatte seine Wut nur dadurch in den Griff bekommen, dass er seine Rachegelüste auf andere projiziert hatte. Es hatte für Julian keine andere Möglichkeit gegeben, wenigstens ein Fünkchen Trost zu finden.
    Er konnte es sich nicht vorstellen, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. Allerdings würde eine verantwortungsvolle Jury ihn sowieso zum Tode verurteilen. Der Tod würde ein Geschenk sein, mit dem viel besser umzu­gehen war, als in einem Käfig zu verrotten. Doch wie würde er mit der Schuld umgehen, während er auf seinen Tod wartete? Nein, er würde seine Familie keinem langwierigen Prozess aussetzen oder der Presse erlauben, das Leben seiner Frau und Töchter vor anderen auszubreiten. Er hatte keine andere Wahl, als das einzig Richtige zu tun.
    Doktor Julian Youngblood, Ehemann, Vater und hochbegabter Kardiologe, schob seine Füße Zentimeter für Zentimeter vorwärts, seine Zehen hingen schon über dem Abgrund. Er lehnte sich in den Wind, bis das Gewicht seines Oberkörpers ihn nach vorn schob wie einen Olympioniken, der von einer Planke springt. Kaum in der Luft, hatte er das Gefühl, sein Magen würde in seine Kehle drängen. Als er auf den Erdboden zuschoss, ließ der Wind seinen Kittel flattern wie eine Fahne, während seine Arme und Beine hilflos umherruderten. Seine letzten Gedanken galten Isabel und Lorena.

    Sami rannte zur Dachkante, lehnte sich vorsichtig über die Brüstung und schaute hinab. Polizeisirenen ertönten, und Reifen quietschten. Sie konnte Doktor Youngblood regungslos mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehweg liegen sehen. Ein Helikopter der

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