Chaosprinz Band 2
31. Kapitel
Immer wieder sonntags…
Es regnet. Schwer und grau hängen dicke Wolkenfelder am Himmel, verschieben und verformen sich stumm. Kühl und feucht bläst der Wind durch die Luft. Er zerrt grob an den roten, gelben und braunen Blättern, reißt sie von ihren Ästen und trägt sie ein Stückchen mit sich, nur um sie dann achtlos auf den feuchten Boden fallenzulassen.
»Guck mal, der dicke Indianerbaum wackelt!« Emma steht auf einem Stuhl und schaut aus dem Küchenfenster.
»Ja.« Ich nicke. Die Kinder nennen die große, alte Trauerweide in unserem Garten Indianerbaum, seit wir letztens Cowboy und Indianer gespielt haben und dabei laut johlend und unsere Kriegsbeile schwingend um den Baum getanzt sind.
Es ist Sonntagmorgen und das ganze Haus schlummert noch friedlich. Bis auf Emma, Timmy und mich. Wir sind schon eine ganze Weile wach und bereiten das Frühstück für die ganze Familie vor.
Ich lasse die Pfanne mit den Rühreiern auf einem Untersetzer stehen und folge Emma ins Esszimmer. Die Zwillinge sind fürs Tischdecken verantwortlich gewesen. Stolz stehen sie nun beide neben der langen Tafel. Nichts aber auch rein gar nichts passt hier zusammen. Jeder Teller scheint zu einem anderen Geschirrservice zu gehören, die großen, bunten Kaffeetassen unterstreichen das Chaos auf ihre Art und Weise und auch das Besteck haben die Kleinen wild gemischt.
»Ich habe Alex den Becher gegeben, auf dem Goofy Schlittschuh fährt«, meint Timmy strahlend. »Und Maria bekommt die Tasse mit den zwei kleinen Katzen.«
Ich lächle. »Sehr gut«, sage ich und hole schnell eine Schachtel mit Schokoladenmarienkäfern, die ich gestern extra noch gekauft habe. »Legt jedem einen auf den Teller.«
Die Zwillinge rennen voller Begeisterung um den Tisch und verteilen die Süßigkeiten.
»Und jetzt?«, fragt Timmy begierig.
»Jetzt müssen wir die Marmeladengläser, die Wurst und den Käse aus dem Kühlschrank holen.« Ich zeige ihnen, wo die Sachen stehen, und gebe jedem ein Glas in die Hand.
Ich stelle den frisch gebrühten Kaffee auf den Tisch und betrachte unser Werk.
»Ich glaube, wir sind fertig, oder?«
Die Zwillinge stehen neben mir. Sie schauen sich den voll beladenen Frühstückstisch ganz genau an, dann nicken sie zufrieden.
»Ketchup brauchen wir nicht, oder?« Timmy kratzt sich am Kopf.
»Nein, wir essen ja keine Pommes.«
»Oh, ich mag Pommes.« Er strahlt.
»Ich auch«, ruft Emma.
»Ich auch, aber nicht zum Frühstück. Kommt, wir wecken die anderen.«
Gemeinsam gehen wir die Treppe nach oben. Martha hat heute frei, ein idealer Zeitpunkt für unser idyllisches Familienfrühstück. Ich muss zugeben, dieses Mal sind meine Bemühungen nicht ganz uneigennützig. Es geht mir nicht nur um den Familienzusammenhalt und den allgemeinen Umgang miteinander, nein, dieses Mal bin ich ziemlich egoistisch: Im Grunde will ich mich nur einschleimen.
Der große Moment wird bald kommen. Ich kann nicht länger warten. Ich muss Bettina und Pa endlich sagen, dass ich schwul bin. Und wenn sie diese Nachricht erfahren, dann sollen sie immer hübsch daran denken, was für ein hilfsbereiter, lieber und braver Junge ihr kleiner Tobi doch ist.
Pa und Bettina sehen uns reichlich verschlafen an. Ich glaube, es wäre beiden lieber gewesen, noch eine Stunde länger im Bett herumzuliegen und anschließend mit ein paar Bekannten in irgendeinem Restaurant zum Brunch zu gehen. Doch die Zwillinge hopsen so begeistert auf ihrem breiten Ehebett herum, dass sie gar nicht anders können als zu versprechen, so schnell wie möglich aufzustehen.
Maria aus ihrem geliebten Schönheitsschlaf zu reißen, ist etwas, das man sich gut überlegen sollte. Hat man Angst vor körperlichen Schmerzen und möchte man verbale Attacken jeder Art vermeiden, dann sollte man Maria früh morgens lieber aus dem Weg gehen. Sie wirft mit ihren Stoffteddys nach uns, als wir ihr die Bettdecke stehlen wollen. Zu dritt springen wir auf ihr Bett, ich halte sie fest und die Zwillinge kitzeln ihre Füße so lange, bis Maria kreischt und schreit vor Lachen.
»Jetzt müssen wir Alex wecken«, strahlt Emma und nimmt meine Hand.
Ich lasse mich von den Kleinen in den Flur ziehen. Mit jedem Schritt, der mich seiner Zimmertür näher bringt, erhöht sich der Rhythmus meines Herzschlags um einen Vierteltakt.
Ich öffne die Tür. Es riecht nach ihm. Das ganze Zimmer riecht nach seinem Aftershave, seinem Haarschampoo, seinem Duschgel, seiner Haut…
Die Jalousien sind
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