Keine Lady ohne Tadel
vollständig!
Aber der Kleine hatte die Faust in Sebastians Haar gekrallt und quiekte vor Freude. Gehorsam warf Sebastian ihn ein weiteres Mal in die Höhe. Esme ertappte sich dabei, wie sie den schönen Mann anstarrte: das Spiel seiner Muskeln und die glatte goldene Haut, die wilden Locken.
Und dann fiel ihr Blick auf William. Es war wie ein Seitenblick, wenn man sich im Spiegel betrachtet und zunächst nicht weiß, wer die Person dort ist. Denn der nackte Mann in ihrem Schlafgemach hielt ein ungeheuer pummeliges, gesundes, lebhaftes Baby im Arm …
Das war William. Ihr kränklicher, zarter Sohn?
Esme staunte.
Sebastian fühlte sich immer noch nicht beobachtet. Er hielt William mit ausgestreckten Armen über seinen Kopf und lachte zu ihm auf. Rundliche Beinchen strampelten vor Vergnügen. »Das magst du gern, mein Sohn, was?« sagte er. Und jedes Mal, wenn er William rüttelte, lachte der Kleine aus vollem Hals. Bis Sebastian ihn wieder an seine Brust drückte. Erst da, als er Williams Kopf küsste, wurde er gewahr, dass Esme ihn ungläubig anstarrte.
Die Unsicherheit, wie Esme auf Williams Nacktheit reagieren würde, war ihm deutlich anzumerken. »Er mag es sehr, Esme«, beeilte er sich zu versichern. »Schau mal.« Und er kitzelte Williams dickes Bäuchlein. William bog sich an Sebastians Schulter zurück und kicherte, dass sämtliche Fettpölsterchen vor Freude mitwackelten.
»Er ist gesund, nicht wahr?«, sagte Esme voller Ehrfurcht.
»So gesund wie ein Schweinchen«, erwiderte Sebastian.
»Oh, du meine Güte!«, hauchte Esme. »Ich hätte nie … ich wollte doch nicht …«
Sebastian trug William zu ihrem Bett. »Ich bin ganz sicher, dass er nicht friert, Esme. Kein bisschen. Ich hätte ihn nicht ganz ausgezogen, wenn ich nicht ganz sicher gewesen wäre, dass er nicht friert.«
William lag auf der Bettdecke und strampelte und fuchtelte mit den dicken Ärmchen herum. Er war sichtlich froh, von drei Schichten Wolle befreit zu sein.
»Es ist Sommer, Esme«, sagte Sebastian zärtlich. »Im Garten blühen die Rosen. Und ich glaube, ein wenig Bewegung tut ihm nur gut.« Er rollte den Kleinen auf den Bauch. William quietschte vor Vergnügen und reckte dann fragend seinen großen Kopf hoch. »Sein Hals wird schon kräftiger«, sagte Sebastian so stolz, als habe William ein Einser-Examen in Oxford erworben.
Esme öffnete den Mund – und blieb stumm.
Die Sonne schien auf den kräftigen kleinen Körper, auf das braune Haar, das so sehr dem Haar seines Vaters Miles glich. Auf seinen wackelnden Kopf mit den blauen, zu Sebastian aufspähenden Augen, die genauso freundlich wirkten wie Miles’ Augen.
Doch da, am Ende des Rückgrats, war ein kleines sternförmiges Mal. Ein Mal, das William bei der Geburt nicht gehabt hatte, das jetzt aber unzweifelhaft vorhanden war.
»Sebastian«, sagte sie leise. Und etwas in ihrer Stimme bewirkte, dass er sich ihr zuwandte. »Sieh nur.«
Sebastian betrachtete das Mal und schwieg.
»Was meinst du?«
»Es sieht jenem Mal ganz ähnlich, das ich am Rückgrat habe«, sagte er langsam. Er wirkte eher verwirrt denn erfreut. Doch dann lachte er. »Ich habe recht gehabt! Er mag zwar erst jetzt mit mir verwandt sein, aber ich habe ihn von Anfang an mit jeder Faser meines Herzens geliebt.«
Esme sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Oh, Sebastian, was würde ich nur ohne dich tun?«
Er sah sie einen Moment an, dann erblühte ein zartes Lächeln auf seinem Gesicht. »Darauf gebe ich dir keine Antwort, denn dieser Fall wird nie eintreten.«
William rollte sich wieder auf den Rücken und fuhr mit seinen dicken Ärmchen durch die Luft. Seine Mama und sein Papa sahen nicht, dass er den Staubfeen zuwinkte, die in einem Sonnenstrahl tanzten. Denn sie lagen einander in den Armen, und sein Papa küsste seine Mama auf seine ganz besondere Art: als sei sie die köstlichste, begehrenswerteste und wunderbarste Frau auf der Welt. Und sie erwiderte seinen Kuss, als würde sie die Welt und alle ihre Herrlichkeiten opfern, nur um in seinen Armen zu liegen.
William kicherte und strampelte mit seinen Beinchen, bis die Staubfeen wie leuchtende goldene Sterne in alle Himmelsrichtungen auseinanderstoben.
Der zweite Epilog
Ein Puritaner verliert seinen guten Ruf
Es war Hochsommer geworden. Die Luft war dunstig und staubig, und in den Straßen roch es scharf nach Dung. Der Geruch machte auch vor den Häusern der Wohlhabenden nicht halt, er drang sogar in den vornehmen Ballsaal Lady Trundlebridges,
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