Keiner wird weinen
junges Paar, das spätabends
in das romantische Karlštejn kam, nicht zufrieden war mit einem Einzelzimmer mit Bad.
Die Pause zog sich in die Länge. Der Mann klopfte mit einem Fingernagel auf das Plastikmundstück des Saxophons.
Endlich, da er von Vera keine Antwort bekommen hatte, reichte Anton dem Mann entschlossen das Geld.
»Danke.«
Der drückte Anton zwei Schlüssel mit einem schweren birnenförmigen Anhänger in die Hand.
Der Wirt erklärte ihnen, welcher Schlüssel zur Eingangstür des kleinen Hotels gehörte und welcher zum Zimmer.
»Das ist auf jeden Fall besser, als auf dem Flughafen zu schlafen«, sagte Anton, als sie hinausgingen. »Wenn du willst, kann
ich mich auf den Fußboden legen.«
Vera dachte plötzlich, daß sie keineswegs wollte, daß er auf dem Fußboden schlief, sagte aber nichts. Spöttisch folgte ihnen
die heisere Stimme des Saxophons.
Mitte des 14. Jahrhunderts ließ Karl IV. auf einem hohen Felsen in der Nähe von Prag die Festung Karlštejn errichten. Hier
wurden die Symbole legendärer Siege und der ewigen Macht des Reiches aufbewahrt, der Reichsschatz sowie das Staatsarchiv.
Hier erholte sich der allergnädigste Monarch im Glanz von Gold und Edelsteinen hinter dicken Festungsmauern von seinen Staatsgeschäften.
An Kapellenwänden sah er neben den Antlitzen von Heiligen und herzzereißenden Szenen aus der Apokalypse gern auch sich selbst
und seine Familie verewigt.
Bei feierlichen Messen brannten in der Heiligkreuzkapelle anderthalbtausend Kerzen auf eisernen Speeren. In den umliegenden
Wäldern heulten nachts die hungrigen Wölfe. In dem kleinen gotischen Europa gingen Pest und Aussatz um. Schöne Frauen kaschierten
die groben Pockennarben im Gesicht mit einer dicken Schicht weißer Schminke. Unter den Filzhüten der Bauern, den Helmen der
Ritter und den Kronen der Könige wimmelten Läuse. Die Scholastiker stritten darüber, ob ein Maulwurf Augen habe und die Unendlichkeit
ein Ende. Die Alchimisten versuchten aus Blei und Quecksilber Gold zu gewinnen und dem sterblichen Leib Unsterblichkeit zu
verleihen.
In schmutzigen Retorten blubberten übelriechende Mixturen, doch Blei blieb Blei, und der Tod schonte niemanden …
Informationen zum Buch
Ein Junge aus dem Waisenhaus wird zum gefürchteten Bandenchef. Ein anderer verliert alle seine Verwandten durch einen grausamen
Mord. Die Rache wird zu seinem Lebensinhalt. Meisterhaft erzählt Polina Daschkowa die Geschichte eines Mörders aus "niederen"
und eines Mörders aus "edlen" Motiven - und wie sie dazu werden konnten.
"Polina Daschkowa zeichnet präzise spannende Psychogramme."
FAZ
"Ein weiblicher Blick in die russische Seele."
Frau im Spiegel
Informationen zur Autorin
POLINA DASCHKOWA , geboren 1960, studierte am Gorki-Literaturinstitut in Moskau und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin, bevor sie
mit einer Gesamtauflage von heute 45 Millionen verkauften Büchern zur beliebtesten russischen Krimiautorin avancierte. Sie
lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Moskau.
In der Aufbau-Verlagsgruppe sind bisher ihre Romane »Die leichten Schritte des Wahnsinns« (2001), »Club Kalaschnikow« (2002),
»Russische Orchidee« (2003), »Lenas Flucht« (2004), »Für Nikita« (2004), »Du wirst mich nie verraten«(2005) und »Der falsche
Engel«(2007) erschienen.
Im DAV wurden die Hörbücher »Die leichten Schritte des Wahnsinns« und »Club Kalaschnikow« veröffentlicht.
Fußnote
1
(russ.) Lufthauch, Zugwind.
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