Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
beugt sich zu meiner Seite hinüber, fegt mit einer Handbewegung den Zeitungen-Notizhefte-Schraubenzieher-Hammer-Haufen beiseite und schmeißt den braunen Hut und die blauen Kinderschuhe vom vorderen auf den hinteren Sitz. Aus dem Armaturenbrett hängen Drähte heraus, die Sitzbezüge sind aufgerissen. Er nimmt noch mal den Hut und setzt ihn auf. Eine kurze gelbblonde Strähne wuschelt sich unter dem Hut hervor. „Ach, lass dich nicht stören von diesen Dingern hier, die brauche ich für meine Arbeit. Ich bin Pfarrer in einer Gemeinde. Das Auto habe ich auch geschenkt bekommen. Weißt du! Mit vier Kindern habe ich nicht viel Geld. Aber du siehst’s, der HERR sorgt sich um seinen Diener ... Aber New York City! Ist ein heißer Platz. Ein Mal war ich schon da, bei einem Freund. Haste auch Bekannten da?
„Nö, ich kenne dort keinen.“
„Hä?! Nur so alleine? Mensch, das ist doch gefährlich! Ich würde ohne Begleitung nicht mal ein paar Stunden dort verbringen.“ Er ist ganz aufgeregt. „Sag mal, und wo schläfst du denn so?“
„Nun ja ... heute dort, wo mich die Dunkelheit gerade erwischt.“
Seine Augen öffnen sich dermaßen weit, dass ich anstelle seines Gesichtes nur einen großen blauen Fleck wahrnehmen kann. „Waas, draußen auf der Straße?“
„Ühüm, warum nicht? Ich habe einen Schlafsack, eine Hängematte und sogar einen warmen Pullover.“
„Ojje, ojje Lavin, du verstehst es nicht, wie die Dinge hier laufen. Du kommst aus einem anderen Land und stellst dich auf die Straße, als wäre das das normalste Ding der Welt. Sag mal, wie war das? Wie heißt noch mal das Land, wo du herkommst? Ach ja! Du denkst, dass hier immer alles so gemütlich und ungefährlich zugeht. Aber sag mal: wie ist es da drüben mit solchen Sachen. Und überhaupt..?“
Seine Neugierde erwacht wie ein antwortfessender hungriger Riese und schmettert eine Unmenge Fragen und Halbantworten auf mich nieder. Ich wiederum, muss dermaßen aufpassen, was ich ihm erzähle, denn er nimmt jedes Wort von mir für bare Münze. Wenn ich jetzt Blödsinn erzähle, wird er es weiterverbreiten. Aber wenn ich was Kluges, Allgemeingültiges von mir lasse ... Na ja! Aber wie?
Das ist der Moment, in dem sich
die Straße zur Universität verwandelt.
In einem Moment bin ich selber der Student, im anderen der Lehrer. Dieser Student aber muss immer auf dem Sprung sein in diesem Spiel, in welchem es am Ende keinen Diplomabschluss gibt. Wenn jemand mich für den Professor hält: nun, bin ich es, sonst kann ich gleich aussteigen. Das Allerwichtigste ist, die Zusammenhänge der Dinge schnell zu begreifen, und mich jeder Zeit sofort entscheiden zu können.
So, ich habe mich noch gar nicht richtig in meine Vorträge „reingelaiert“, schon bin ich dran mit der schnellen Entscheidung. Bruce will jetzt die Zweihundertneunziger verlassen, und bietet mir irgendwo eine Unterkunft an. Ich habe noch eine halbe Stunde bis zur Dunkelheit. Ursprünglich wollte ich heute schon viel weiter kommen. Aber: was soll ’s?! Wir zwirbeln uns durch Buffalos Vororte, und mein Wohltäter ist bemüht, mir das Wort des HERRn näher zu bringen:
„Weiß Du, das Wichtigste ist, die Hilfe; den Notleidenden zu helfen. Ich bin der Chef in der 'Jung Christen Gemeinde' hier, und wir helfen allen Neuankömmlingen. Jetzt fahre ich gerade zu einer Sikh Familie, die erst vor kurzem hier angekommen ist. Es ist schwierig in einer neuen Heimat ein neues Leben anzufa ngen ...“
Ja, so ist es.
Eine merkwürdige Zusammenkunft. Die indische Familie betrachtet mich als Amerikaner, für mich sind sie Amerikaner, und Bruce nimmt uns beide in seine karitative Obhut. Bei der Familie bespricht er, was sie für Möbel brauchten, und verspricht ihnen die gewünschte Stücke morgen vorbeizubringen.
Dann bin ich an der Reihe. Mich fährt er nach Hause zu seinen vier Kindern und seiner netten Frau, um meinen Magen mit liebevoll gekochten Ravioli zu füllen.
Nach dem Abendbrot erfahre ich endlich, wo ich schlafen werde: In Amherst, einem Vorort von Buffalo, in einem von Studenten gemi eteten großen Einfamilienhaus.
„Eine Dachstube ist leer, weil da jemand gerade verreist ist“ sagt er, und wir rollen schon durch die Straßen. Er verpasst mir wieder eine Bibellehre, und wir diskutieren über die Religion. Es gelingt uns, einen gemeinsamen Nenner zu finden: Wichtig ist der Glaube und nicht die Religion.
„O.K.“, sagt er „ich akzeptiere, dass du kein Christ bist, und keiner Religion
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