Kellerwelt
Daumen auf die Taste des
Sichtgeräts.
Das Display flackerte wie
ein Stroboskop. Er widerstand dem Drang, die Taste loszulassen oder seine Augen
zu schließen. Stattdessen starrte er das Display an und ließ sich immer tiefer
in dieses Flackern sinken. Seine linke Hand erschlaffte und das Gewehr polterte
zu Boden, doch das nahm er schon nicht mehr wahr.
Der Download begann und ließ
den Korridor mit all dem Dreck und all dem Chaos in gleißendem Licht versinken.
P 226
Weiter. Und immer weiter.
Kein Ausgang in Sicht.
In seinem Kopf herrschte
Durcheinander. Ein Teil von ihm fühlte Angst und Hilflosigkeit. Sie hatten ihn
entführt, unter Drogen gesetzt und er hatte nichts dagegen tun können. Er
fragte sich, was sie ihm darüber hinaus noch antun konnten, ohne ihm eine
Chance zur Gegenwehr zu lassen.
Ein anderer Teil fühlte
Verwirrung. Wo war er hier gelandet? Welches Gebäude bot genug Platz für einen
solchen Keller? Er wanderte bereits seit einer Ewigkeit durch diese Korridore,
ohne einen Hinweis auf den Ausgang entdeckt zu haben. Und was wollten die von
ihm? Was wurde von ihm erwartet? Niemand würde sich die Arbeit machen, einen
Menschen zu kidnappen und ihn unter Drogen zu setzen, wenn er damit nichts
erreichen wollte. Niemand würde ein solches Risiko einfach nur so aus Spaß
eingehen.
Neben Angst und Verwirrung fühlte
er Ärger. Wie konnte es jemand wagen, ihn seiner Erinnerungen und seiner
Identität zu berauben? Er wollte diesen Menschen nur zu gerne persönlich kennen
lernen, von Angesicht zu Angesicht. Dann würde er einige ernste Worte mit ihm
wechseln.
Zu diesem Thema hatten sich
einige Gewaltphantasien in seinen Kopf geschlichen. Er hatte an das Gefühl
gedacht, eine Faust in ein Gesicht zu schlagen. Pflatsch, genau auf die Zwölf.
Ein schönes Gefühl. Er hatte auch an einen Fußtritt in die Weichteile gedacht.
Dann, irgendwann, war ihm auch der Einsatz einer Schlagwaffe recht attraktiv
erschienen.
Als diese Phantasien immer
drastischere Züge angenommen hatten, hatte er sich selbst gebremst. Solche
Gedanken hatten in seinem Kopf nichts zu suchen. Er war schließlich kein
Schläger. Er war nur ein normaler Mann von der Straße. Zumindest fühlte er sich
so.
Und über allem lag der
Drang, endlich einen Ausweg aus diesem Keller zu finden. Er durfte sich
keinesfalls erwischen lassen - so lautete das Mantra, das sich in seinem Kopf
wiederholte.
Doch wie sollte er sich
orientieren?
Natürlich gab es allerlei
Anhaltspunkte. Jeder Korridor sah anders aus. In einigen gab es Pfützen, in
anderen liefen Rohre unter der Decke entlang. In wieder anderen flackerte das
Licht oder Arbeitsleuchten an der Decke waren ausgefallen. In manchen
Korridoren hätten vier oder fünf Männer nebeneinander gehen können, in anderen
musste er seine Arme an den Körper pressen, um nicht an den Wänden entlang zu
schrammen. Doch all diese Eigenschaften wiederholten sich immer wieder, in
allen möglichen Kombinationen. Es gab offenbar nicht nur einen Korridor, bei
dem Rohre unter der Decke verliefen, sondern unzählige davon. Und er konnte
sich nicht jedes Detail merken. Wenn er einen Korridor betrat, hätte er nicht
sagen können, ob er schon einmal hier gewesen war oder nicht. Ihm fehlte
einfach ein eindeutiges Merkmal, das er sich hätte einprägen können. Ein
Wasserfleck, geformt wie ein gigantischer Pimmel, wäre beispielsweise sehr
hilfreich gewesen. Oder Graffiti an einer Wand. Oder so etwas wie diese Tür
dort drüben.
Er blieb wie angewurzelt
stehen.
Eine Tür?
War er etwa im Kreis
gelaufen? War er wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückgekehrt? Obwohl er damit
keinen Schritt weiter gekommen wäre, hätte er sich darüber gefreut. Immerhin
stellte diese Tür die einzige Konstante in diesem Keller dar.
Doch als er die Tür öffnete
und in den Raum hinein spähte, verpuffte seine Freude. Es gab in diesem Raum
keine Pfütze. Er sah lediglich einen Haufen Bauschutt, der sich beinahe über
die gesamte hintere Wand erstreckte. Backsteine - die meisten davon zerbrochen.
Dazwischen kleineres Geröll. Beton und Mörtel. Es gab auch Holzstücke, die ihre
Splitter wie Finger aus dem Haufen streckten. Die Krönung bildete aber ein
Gartenstuhl, der oben auf diesem Schutthaufen thronte. Der Rost hatte einen
Großteil des weißen Lacks aufgefressen, der das Metallgestell des Stuhles
überzogen hatte. Sitzfläche und Rückenlehne bestanden aus einem
Plastikgeflecht, das irgendwann einmal blau gewesen sein mochte.
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