Kerstin Dirks & Sandra Henke - Vampirloge Condannato - 01
Wohnung. Ich arbeite nun mal lange.“ Mit einem schlechten Gewissen schaute Tammy zu ihrem Laptop. Eigentlich sollte sie längst an dem Werbeslogan für „Hip Shoes“ sitzen, aber bei dieser Hitze konnte sie nicht denken.
„Ausgerechnet heute muss ich mit meiner Familie essen gehen, in Soho, weil meine ausgeflippte Schwester Samantha auf die Sixties Läden dort steht, dabei mögen weder Mom, Dad, noch ich die Restaurants auf der Carnaby Street. Dort geht man shoppen, nicht essen.“
Grey miaute und schaute sie mit großen Augen an. Lächelnd setzte Tammy ihn auf den Boden und schlenderte zur Küche. „Das Wort ‚Essen’ verstehst du immer“, amüsierte sie sich und gab dem Kater Futter. Sie ging zurück zum Bett, nahm das Handtuch und legte es sich in den Nacken. Dann stellte sie sich ans Fenster und schaute hinaus. Auf der Rasenfläche in der Mitte des Norfolk Squares lag ein Paar auf einem fliederfarbenen Laken und kuschelte. Wehmütig dachte Tammy an Sophie und Jeremy. Welch eine schicksalhafte Begegnung! Die 18-jährige Memoirenschreiberin schien hin und weg von diesem Mann zu sein. Tamara korrigierte sich in Gedanken. Von diesem Vampir. Tammy selbst hatte nie viel Glück gehabt in der Liebe. Die Männer lagen ihr nicht gerade zu Füßen. Und wenn sie nun zurückdachte an die wenigen vergangenen Liebschaften, so trauerte sie keiner hinterher. Tamara hatte eben nicht die Faszination empfunden, die sie an einem Mann suchte. Und so stürzte sie sich in die Arbeit. Darin war sie gut. Sie besaß mittlerweile einen Namen als aufstrebende Werbetexterin, aber eben keinen Freund. So befand sie sich in einem Teufelskreis. Weshalb sollte sie früh nach Hause kommen, wenn niemand auf sie wartete außer Grey? Sie konnte sich genauso gut die Nächte in der Agentur um die Ohren schlagen. Das erwartete man von einer Karrierefrau. Wollte sie das überhaupt sein? Sie verkörperte es nach außen, ja. Vielleicht weil das alles war, was sie sich hatte erarbeiten können. Dabei träumte sie vielmehr
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Sandra Henke & Kerstin Dirks Begierde des Blutes
davon, sich in die Arme eines starken Mannes fallen zu lassen, eines Mannes, der so mysteriös und attraktiv war wie Jeremy.
Plötzlich hatte Tammy eine Idee. Sie hatte bisher nur die ersten Seiten der Memoiren gelesen und war auf bekannte Namen gestoßen.
„Wo war es denn noch? Wo stand es?“, murmelte sie und überflog die ersten Blätter. „Da! Covent Garden, ja, dort hat Jeremy gewohnt. Früher war Westminster eine eigene Stadt, heute ist es ein Bezirk Londons. Dort gibt es einige Häuser, die wie römische Piazzas aussehen. Das könnte passen. Sophie erwähnte doch auch einen Straßennamen. Ruhig, Tammy, nicht so aufgeregt.“ Sie begann verstärkt zu schwitzen, wischte sich mit dem Handtuch übers Gesicht und fand endlich den Abschnitt, den sie suchte. „Limpin Charlie Lane, diese Straße muss ich finden.“
Ohne weiter darüber nachzudenken, wusch sie sich in Windeseile und zog ein apricotfarbenes Minikleid aus Voile an und band die schulterlangen, blonden Locken zu einem Zopf. Bei der Hitze war sie froh, ihre kleinen, festen Brüste nicht in einen BH zwängen zu müssen, so wie Samantha, die ihre üppigen Rundungen immer und überall durch einen Push-up BH und offenherzige Blusen in Szene setzte.
„Sie passt nach Soho“, sagte Tammy zu Grey, als sie das Fenster schloss und ihn zum Abschied streichelte. „Sammy Jo ist genauso oberflächlich.“ Die Sonne warf bereits tiefe Schatten, als Tamara die London Street entlang eilte. Sie überquerte die Pread Street und hastete die Treppenstufen zur Paddington Station hinunter, als würde sie zu einem Rendezvous hetzen. Dabei wusste sie nicht einmal, ob Jeremys Haus überhaupt existierte.
Sie betrat die U-Bahn und grinste. Jeremy konnte doch gar nicht wirklich gelebt haben, immerhin sollte er ein Vampir gewesen sein. Nein, das war unmöglich! Sicher würde sie nichts finden. Kein Haus. Keinen Jeremy. Erwartete sie tatsächlich, dass sie ihn antreffen würde? Als Vampir hätte er Sophie überleben und nun seit drei Jahrhunderten in dem Haus in der Limpin Charlie Lane wohnen können. Hatten sich die beiden eigentlich wieder gesehen, grübelte Tamara oder war Jeremy nie zu Sophie zurückgekehrt, weil er ihr Blut nicht begehren wollte?
Tammy hatte das Gefühl, sich lächerlich zu machen. Einen Moment lang überlegte sie ernsthaft, direkt nach Soho zu fahren und die Läden zu durchstöbern, anstatt einem Phantom
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