Ketten der Liebe
Pfade des Verlangens.
Nun zog er ihr einen Handschuh aus und hauchte ihr einen Kuss auf die Finger und auf die Innenfläche der Hand.
»Oh, dieses Getue«, murmelte Kenley verächtlich.
Sein Bruder klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Wie gewonnen, so zerronnen«, meinte er. »Der Trick ist, sich nicht auf ein Spiel zu versteifen.«
»Oh, habt vielen Dank für Euren wohlgemeinten Rat, Eure Lordschaft«, gab Kenley spöttisch zurück und ging verschnupft in Richtung Büfett.
Lord Howland deutete mit einem Kopfnicken auf den Gartenweg hinter ihnen. »Northcliff, ist dieser Bursche dort hinten ein Freund von dir? Er sieht recht auffällig aus und scheint, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, nicht ganz hierher zu passen.«
Amy drehte sich um und sah einen weiteren, ihr unbekannten Gentleman auf sich zukommen. Ein nicht sonderlich großer, untersetzter Mann um die fünfzig mit auffallenden Tränensäcken. Die Haut an Hals und Wangen war schlaff und verlieh ihm ein müdes Aussehen. Die kurzen Beine wollten nicht recht zu dem langen Oberkörper passen, und der Bauch, der sich unter der blauen Weste und dem braunen Gehrock spannte, quoll auffällig über den Bund der braun karierten Hose. Seine Bewegungen wirkten ein wenig ungelenk, als halte er sich selten im Freien auf, schon gar nicht auf mit Kies ausgelegten Gartenwegen.
»Ah, ja.« Jermyn amüsierte sich, als er Amys Miene sah. »Das ist mein Onkel, Mr. Harrison Edmondson.«
Sie hatte mit einem Schurken gerechnet. Stattdessen erblickte sie einen Bassethund auf zwei Beinen - verdrießlich, aber nicht unfreundlich.
»Oh«, erwiderte sie und ging bereits auf ihn zu. »Ich sollte ihn begrüßen.«
»Ich komme mit.« Jermyn ergriff ihre Hand und legte sie auf seine Armbeuge.
»Gewiss, ich vergaß das Protokoll. Du müsst mich ja vorstellen«, sagte sie leicht verächtlich. Die Geburtstagsfeier hatte am Vortag begonnen. Amy hatte Leute wie Kenley und Howard kennengelernt, die sie sympathisch fand, und Gäste wie Alfonsine Gräfin von Cuvier, die ihr höchst zuwider waren. Aber während sie die Gäste im Stillen als freundlich oder unfreundlich und unterhaltsam oder todlangweilig einstufte, setzte ihr die steife britische Höflichkeit so sehr zu, dass sie ständig gegen eine lähmende Mattigkeit anzukämpfen hatte.
Doch Jermyn ließ keine Gelegenheit aus, sich in aller Öffentlichkeit bewundernd über seine Verlobte zu äußern. Er hatte offenbar beschlossen, dass diese Beziehung ein Erfolg war. Und da Amy die erste Frau war, zu der er sich öffentlich bekannte, taten seine Gäste es ihm gleich ... allerdings war Amy nicht so töricht, sich von den freundlichen Mienen der Leute blenden zu lassen. Hatten die Damen im Salon sie doch spüren lassen, was sie wirklich dachten.
Interesse flammte in Onkel Harrisons Augen auf, als Jermyn und Amy näher kamen. Offenbar hatte er bereits von der Verlobten seines Neffen gehört.
»Onkel Harrison«, begrüßte Jermyn ihn herzlich und schüttelte ihm die Hand. »Ich habe Neuigkeiten, die dich sicher freuen dürften. Darf ich dir meine Verlobte, Prinzessin Amy von Beaumontagne vorstellen?«
Amy warf Jermyn einen erstaunten Seitenblick zu. Sie hatten vereinbart, es bei ihrem Titel bei einem Gerücht zu belassen, das sich langsam in den höheren Kreisen verbreiten sollte. Denn Amy wollte sich nicht vor allen Leuten als Prinzessin präsentieren, und Jermyn war der Ansicht gewesen, dass das Geheimnis um ihre Herkunft ihr Prestige erhöhte und ihr den Zugang zur englischen Aristokratie erleichterte. Und doch stellte er sie seinem Onkel mit allen ihr zustehenden Ehren vor ... und sie fragte sich, warum er das tat.
Als Onkel Harrison angenehm überrascht und aufrichtig erstaunt reagierte, war Amy sich beinahe sicher, dass dieser Mann kein Wässerchen trüben könnte. »Prinzessin Amy von Beaumontagne!«, rief er aus und vollführte eine elegante Verbeugung, die den älteren Höflingen ihres Vaters zur Ehre gereicht hätte. »Ich fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und wie schön, dich wiederzusehen, mein Junge!« Fest drückte er Jermyns Hand. »Meinen Glückwunsch, dass du die perfekte Braut gefunden hast. Ich beneide dich ungemein.«
Amy vernahm keinen falschen Zwischenton. Wo war nur der Onkel Harrison, den sie sich im Geiste ausgemalt hatte? Der tückische, mordlüsterne Mann mit dem öligen Lächeln ...
»Wie nett, Jermyns einzigen Verwandten kennenzulernen.« Sie schenkte Jermyn einen Blick, aus
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