Ketten der Liebe
Anblick will ich dir ersparen.«
Ein erbärmliches Röcheln kündigte den nahenden Tod an. Die Zuckungen erstarben.
Aus einem unerfindlichen Grund hatte Mr. Edmondson sein Leben verloren.
Amy kannte den eigentümlichen Geruch von Blut und Verderben. Denn während der zurückliegenden, harten Jahre von einem Ort zum anderen hatte sie die Schattenseiten des Lebens zur Genüge kennengelernt.
Mit einem Mal kam Leben in das Herrenzimmer. Amy verspürte ein leichtes Schwindelgefühl und sah, wie jemand die anderen Vorhänge zur Seite zog. Bedienstete und Gäste drängten sich an der Tür. Eine Frau schrie: »Oh, gelobt sei der Herr! Lord Northcliff, Sie leben!« Amy streckte die Hand aus, um sich am Tisch abzustützen, aber sie griff ins Leere. Ihr wurde schwarz vor Augen - und sie wurde ohnmächtig.
»Großer Gott, nein!« Jermyn fing sie gerade noch auf. »Amy!«
Schlaff und leblos hing sie in seinen Armen. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
Die Schaulustigen hielten vor Schreck den Atem an und wisperten aufgeregt.
Ein Fremder betrat den Raum und bettete Amys Kopf behutsam an Jermyns Schulter. »Sie ist bloß ohnmächtig.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, entgegnete Jermyn unerwartet heftig. Amy sah so ... leblos aus.
»Ich habe solche Fälle schon oft gesehen.«
Jermyn glaubte, eine leise Belustigung aus der Stimme des Unbekannten herauszuhören, und musterte ihn genau. Der Mann hatte dunkles Haar, war kräftig gebaut, trug edle Kleidung und hatte gute Manieren. Mit seiner forschen, unverblümten Art verschaffte er sich Respekt, und mit einem Mal erinnerte sich Jermyn, dass er diesen Mann schon früher am Tag gesehen hatte. Amy war mit ihm durch den Garten geschlendert.
Jermyn wusste es sich nicht genau zu erklären, aber er empfand die Gegenwart dieses Fremden als Bedrohung. »Sind Sie Arzt?«, fragte er in scharfem Ton.
»Nein.«
»Dann holen Sie einen ... und zwar jetzt.« Mit diesen Worten hielt Jermyn mit der bewusstlosen Amy im Arm auf die Tür zu.
Die Bediensteten wichen augenblicklich zurück, die Adligen aber drängten weiter in den Raum, da sie sich nichts von dieser dramatischen Szene entgehen lassen wollten. Ein Raunen ging durch die Menge, manch einer drängelte sich nach vorn, andere riefen Jermyns Namen. Doch sowie die Gäste Jermyns düstere Miene sahen, bildeten sie bereitwillig eine Gasse und machten ihm Platz. Jermyn hörte, wie der Fremde scheinbar unbeeindruckt nach einem Arzt schickte - und auch gleich den Leichenbestatter bestellte.
Doch dann hatte Jermyn den Fremden wieder vergessen, denn mit seinen Gedanken war er nur noch bei der Frau in seinen Armen.
Amy war zusammengebrochen. Sie war so reglos. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass diese lebhafte, vor Tatendrang sprühende Frau, die er liebte, so still und bewegungslos sein konnte.
Rasch lief Jermyn die gewundene Treppe hinauf, die zu Amys Schlafzimmer führte. Sein Dolch hatte Harrison an der Schulter getroffen, aber die Klinge konnte unmöglich die Todesursache gewesen sein. Die Pistole war nach hinten losgegangen - die Ironie dieses Umstands entging Jermyn nicht.
Aber wie kam es, dass diese Waffe in das Herrenzimmer gekommen war, obwohl er doch dafür gesorgt hatte, dass sämtliche Handfeuerwaffen gereinigt worden waren?
Doch als er wieder auf die Frau in seinen Armen schaute, wurde ihm bewusst, wie unwichtig diese Frage im Augenblick war. Für ihn zählte nur, dass es ihr gut ging.
Als er nur noch wenige Schritte von ihrem Zimmer entfernt war, merkte er plötzlich, dass der Fremde sich ihm wieder angeschlossen hatte. »Was wollen Sie hier?«, verlangte er zu wissen.
»Ich möchte mich vergewissern, dass es ihr wirklich gut geht.« Der Fremde ging so selbstverständlich neben Jermyn her, als habe er ein Recht zu erfahren, wie es um Amys Gesundheit bestellt war.
»Die Kugel hat sie nicht getroffen.« Jermyn hoffte, dass dies den Mann beruhigte.
»Das weiß ich.« Der Unbekannte hatte einen leichten Akzent. »Ich habe den Lauf verstopft und die Pistole auf den Schreibtisch gelegt, damit Ihr Onkel sie sofort findet.«
Die kühle Berechnung des Fremden verschlug Jermyn den Atem. Er blieb stehen, drückte Amy eng an sich und wandte sich dem Mann zu. »Wer sind Sie?«
Der Fremde machte eine elegante Verbeugung. »Ich bin Amys Prinz.«
Amy kam im Bett zu sich und spürte, dass ihr jemand ein kühles Tuch auf die Stirn legte. Verärgert packte sie es und schleuderte es quer durch den Raum.
Deutlich
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