Ketten der Liebe
leben, um Amy zu finden und ihr zu sagen, dass sie die ganze Zeit recht gehabt hatte.
Es mochte durchaus sein, dass sie ein Schuldgefühl gegenüber ihrer Schwester verspürte - vielleicht aus gutem Grund -, aber das wog nicht schwerer als sein mangelndes Vertrauen in seine Mutter. Wenn Amy ihm verzieh, würde er geloben, sie bis zum Ende ihrer Tage glücklich zu machen. Er würde um Verzeihung bitten. Sie auf Knien anflehen. Regelrecht zu Kreuze kriechen, denn ohne Amy war sein Leben wertlos.
»Damit würdest du vor Gericht nicht durchkommen. Und das weißt du«, sagte Harrison.
»Es war dein Mantel, Onkel. Dein bester Wollmantel. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich weiß noch genau, dass du deinen Mantel plötzlich verloren hattest, als meine Mutter verschwand. Schon als Kind habe ich mich gewundert, dass ein erwachsener Mann auf einmal seinen Mantel nicht mehr findet und diesen Umstand auch noch erwähnen muss, obwohl ich damals meine Mutter verloren habe.« All diese Momente nach dem Verlust der Mutter hatten sich unauslöschlich in Jermyns Erinnerung gebrannt. Er entsann sich, wie stoisch sein Vater den Kummer ertrug, und sah sich noch wie heute in seiner kindlichen Verwirrung in dem großen, leeren Haus stehen. »Warum hast du sie umgebracht? Was hast du dir von ihrem Tod versprochen?«
»Was ich mir davon versprochen habe?« Harrison lachte kalt. »Du hast ja keine Ahnung. Andriana war so schön, so freundlich ... und so verdammt klug.«
Jermyn sah das böse, kalte Glimmen in den Augen seines Onkels und fühlte die scharfe Klinge in seiner Hand. Mit diesem Messer hatte er lange geübt. Inzwischen war er so schnell damit, dass jeder Wurf tödlich wäre. Aber zunächst musste er die ganze Wahrheit hören ...
»Sie war in einem bäuerlichen Umfeld aufgewachsen. Sie spürte, was in den Leuten vorging, dass es einem fast unheimlich war. Und sie durchschaute auch mich. Du weißt ja, dass ich die Bücher für deinen Vater führte und mir dadurch ein kleines Vermögen zur Seite gelegt hatte. Es war nicht allzu viel, aber ich bin ein Edmondson. Mir steht mehr zu als nur die Brotkrumen vom Tisch.«
Jermyn musste daran denken, wie freigebig sein Vater immer gewesen war, und fragte daher sarkastisch nach: »Willst du mir damit sagen, dass du nur die Brotkrumen bekommen hast?«
»Ich nahm mir einfach die Hälfte des Profits der ausländischen Kapitalanteile. Deinem Vater erzählte ich, die Geschäfte gingen schlecht, dabei war es genau anders herum.« Mit einer Stimme, in der ein wehmütiger Ton mitschwang, fügte er hinzu: »Ja, das waren noch Zeiten.«
»Aber meine Mutter hatte deine Machenschaften durchschaut.« Jermyn erreichte die hintere Wand des Herrenzimmers. Er ging um das Bücherregal herum, kehrte zurück und brachte seinen Onkel durch die ständigen Richtungswechsel aus dem Konzept, denn Harrison verfolgte zwanghaft jede Bewegung seines Neffen und achtete nicht mehr so sehr auf seine eigenen Worte.
»Sie war der Ansicht, das Geld stehe ihr und ihrem Jüngelchen zu. Also dir. Als sie deinem Vater dann aber sagte, sie misstraue mir, kam es zwischen den beiden zum Streit.«
»An den Tag kann ich mich noch erinnern.« Da hatte Jermyn zum letzten Mal die Stimme seiner Mutter gehört. Aufgebracht und mit fester Stimme hatte sie ihren Mann getadelt, während der kleine Jermyn auf dem Flur an der geschlossenen Tür lauschte.
»Also begab Andriana sich zum Hafen, um den Auslandsagenten deines Vaters zu befragen. Und als sie den Beweis erhielt, den sie brauchte, ritt sie zum Anwesen zurück, voller Stolz. Wie ein schmutziges Bauernmädchen auf dem Kreuzzug.« Harrison schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie hat sich immer so bemüht, edel zu wirken. Sie warnte mich und sagte, sie werde alles ihrem Mann erzählen, wenn ich nicht sofort aufhörte, mich an dem Besitz zu bereichern. Ich nahm die Warnung ernst, und als Andriana sich dann von mir abwandte, versetzte ich ihr einen harten Schlag auf den Hinterkopf.«
Jermyn ertrug das unerhörte Geständnis mit Fassung, aber in seinem Innern verspürte er den alten Schmerz und jäh aufbrandenden Zorn. All die Jahre hatte er seine Mutter verflucht, da sie ihn verlassen hatte, und nun stellte sich heraus, dass sie auf hinterhältige Weise ermordet worden war, da sie sich in ihrer Aufrichtigkeit und Freundlichkeit für die Belange der Familie eingesetzt hatte.
Und er hatte Amy fortgeschickt und wusste nun selbst nicht mehr, warum er das getan hatte.
»Ich hüllte sie in
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