Ketten der Liebe
Pflaumenkuchen schon weg.«
Jermyn kehrte mit leeren Händen zurück, und Amy war ein klein wenig verärgert, denn sie brauchte jetzt wirklich ein Stück von diesem Pflaumenkuchen, den sie immer so gerne bei Miss Victorine gegessen hatte. Als Jermyn bei Mrs. Kitchen stehen blieb, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln, stieß Amy ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass mich jemand seit Monaten manipuliert.«
»Ich meine, manipulieren ist ein etwas übertriebener Ausdruck, meine Liebe«, sagte Miss Victorine.
»Ach, wirklich?« Amy schaute sie ungläubig an. »Gerade letzten Monat hörte Jermyn von einem Erholungsort, der angeblich gesundheitsförderlich ist und Frauen die Niederkunft erleichtert. In meinen Ohren klang das alles töricht und abergläubisch, aber was macht er? Er arrangierte dort für mich einen Aufenthalt, ohne dass ich davon wusste. Nannte mir nicht einmal den Namen dieses Ortes!«
Mertle war ebenfalls aufgestanden und half Miss Victorine hoch. »Wir sehen mal nach, ob sich irgendwo in der Menge noch ein Stück Pflaumenkuchen auftreiben lässt.« Dann schaute sie an sich hinab auf ihren Bauchumfang. »Sagen wir zwei Stücke.«
»Drei, bitte«, kam es von Miss Victorine.
Amy schlenderte an den langen Tischen vorbei und schaute von Platz zu Platz, auf der Suche nach einem Stück von dem köstlichen Kuchen. »Manchmal frage ich mich, ob ich jemals wieder etwas machen werde, das ich mir vorgenommen habe.«
»Ich verstehe, wie Sie sich fühlen.« Mertle kniff die Augen zusammen und ließ ihren kritischen Blick von einem Mann zum anderen gleiten, als vermute sie, dass einer von ihnen den heiß begehrten Kuchen versteckt hielt. »Insbesondere wenn Sie darüber nachdenken, wie geschickt Seine Lordschaft die Heirat eingefädelt hat und Ihnen vorgaukelte, Sie könnten nach einem Jahr wieder gehen.«
Amy blieb verdutzt stehen. »Wie meinen Sie das?«
»Ach, hat Lord Northcliff Ihnen das gar nicht gesagt?« Mertle lächelte durchtrieben. »Die Ehen, die unter dem Hochzeitsbogen geschlossen werden, sind immer von Dauer.«
»Warum?« Amy beschlich das unbestimmte Gefühl, eine unliebsame Wahrheit zu hören.
Der Vikar, der in der Nähe stand, sah Mertle stirnrunzelnd an. »Frauen, ihr redet zu viel«, ermahnte er sie.
Doch Mertle achtete nicht auf die Worte des Geistlichen. »Weil die Frauen am Jahresende immer ein Kind erwarten. Es heißt, dass die Heiden vor langer Zeit den Fels des Hochzeitsbogens verehrten, da er Fruchtbarkeit verhieß.«
Sie strich sich mit der Hand über den gewölbten Bauch. »Pom und ich, wir bekamen dieses Kind, weil wir durch den Bogen schritten.«
»Dieser Schuft«, stieß Amy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie sah, wie Jermyn sich einen Weg durch die Gäste bahnte, hier und da Hände schüttelte und auf Amy zukam. Er hatte sie durch den Hochzeitsbogen getragen und dann so getan, als wäre es möglich, die Verbindung wieder aufzulösen. Und doch hatte er die ganze Zeit gewusst...
Er trat zu ihr und versuchte, den Arm um sie zu legen.
»Du hinterhältiger Schuft.« Sie gab ihm eine Ohrfeige.
Jermyn blickte sich ratlos um.
»Mertle hat ihr eben die Wahrheit über den Hochzeitsbogen gesagt«, erklärte der Vikar.
»Oh.« Jermyn sah Amys eigensinnig empor gerecktes Kinn und schenkte ihr sein bezauberndes Lächeln. »Aber Liebling, das ist doch alles Aberglaube. Du sagst immer, dass du für derlei Dinge nichts übrig hast.« Wieder versuchte er, einen Arm um Amys Taille zu legen.
Abermals stieß sie ihn zurück. »Der Hochzeitsbogen ist Aberglaube, und doch hast du uns für verheiratet erklärt, als wir durch den Bogen schritten. Also habe ich den Eindruck, dass du an die geheime Kraft glaubst.«
»Hm.« Er strich sich das Kinn. »Ein Punkt für dich.«
Miss Victorine tätschelte Amys Hand. »Mein gutes Mädchen, ist es denn nicht schmeichelhaft, dass er Sie zwar ein wenig narrte, aber nie riskieren wollte, Sie zu verlieren?«
»Miss Victorine, auf wessen Seite stehen Sie?«, fragte Amy.
»Auf Ihrer Seite natürlich. Ich möchte, dass Sie glücklich sind.« So glücklich, wie Miss Victorine im Augenblick aussah.
Jermyn schaute an Amy vorbei hinunter zum Hafen. Seine Augen weiteten sich, und die leise Unruhe, die er verspürt hatte, fiel von ihm ab. »Ah, da kommt endlich dein Hochzeitsgeschenk«, sagte er mit einem zufriedenen Lächeln.
Miss Victorine drehte sich um. Ebenso Mertle. Als hätten die Musiker die Bewegungen
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