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Ketten der Liebe

Ketten der Liebe

Titel: Ketten der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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Kommode, die direkt unter dem Fenster stand. Vorsichtig prüfte er, ob das Möbelstück sein Gewicht halten mochte, und stieg darauf. Mit einem Ruck bekam er das Fenster auf, das in den Angeln quietschte, und spähte hinaus.
    Dicht vor dem Kellerfenster spross hellgrünes Frühlingsgras. Er drückte die Grasbüschel beiseite, konnte aber niemanden sehen. Das war der Zeitpunkt, um nach draußen zu kriechen. Mit beiden Händen umgriff er den Fenstersims, stützte sich mit den Stiefelspitzen am unregelmäßigen Mauerwerk ab und zog sich hinauf. Auf Ellenbogen und Knien zwängte er sich durch die enge Öffnung ins Freie.
    Kühle, feuchte Luft umfing ihn, und graue Nebelschleier verdeckten die untergehende Sonne. Dankbar spürte er das Gras an seiner Wange und atmete die erste frische Luft seit sechs Tagen ein. Er konnte förmlich hören, wie das Blut in seinen Adern pulsierte. Er war frei!
    Er konnte es kaum abwarten, endlich nach Hause zu kommen und alles in die Wege zu leiten, um die Rechnung mit Miss Amy zu begleichen.
    Nein, einen Augenblick. Zunächst würde er ein Bad nehmen. Dann würde er sich die junge Frau vorknöpfen. Und zwar auf seine Art und ganz ausgiebig.
    Er stand auf, ließ noch einmal die Luft tief in seine Lungen strömen und lachte laut auf. Er war soeben seiner Gefangenschaft entronnen ... und hatte einer unschuldigen Frau gezeigt, was pure Lust bedeutet. Noch nie hatte er einen solchen Triumph verspürt.
    Miss Victorines Cottage stand auf einer Anhöhe, von wo aus man das Dorf und die See überblicken konnte. Wenn er dem Weg folgte, könnte er in die Bierschenke gehen und jemanden bitten, ihn zum Festland zu rudern.
    Jermyn machte sich auf in Richtung Dorf. Sein Bein fühlte sich gut an, als er in sein normales Schritttempo verfiel.
    Er fragte sich, ob Miss Victorine bald nach unten käme, um nach ihm zu schauen. Ein Zucken durchlief ihn, als er sich bewusst machte, dass es genau so kommen würde: Sie würde ihm die Abendmahlzeit nach unten bringen, entdecken, dass er fort war, und aufgebracht sein. Nicht, weil er entkommen war, denn er hatte gehört, dass Miss Victorine vorgeschlagen hatte, ihn freizulassen. Nein, sie wäre aufgebracht, weil sie die gemeinsamen Abende genossen hatte. Jeden Abend kam sie nach unten, machte ihre Handarbeit, hörte zu, wenn Amy aus einem Buch vorlas, oder schaute zu, wie die beiden jungen Leute Schach spielten. Die alte Dame erinnerte sich an längst vergangene Tage, erzählte Geschichten von früher und sorgte dafür, dass die verächtliche Amy sich höflich gab. Natürlich benahm auch er sich in Gegenwart von Miss Victorine.
    Tatsächlich hatte er sich immer auf die Abende mit den beiden Frauen gefreut. Die Stunden kamen ihm so ... friedvoll vor. Ganz so, als gehöre er zur Familie. Und immer wieder ertappte er sich dabei, dass er sich in seine Kindheit zurückversetzt fühlte, in eine Zeit, ehe seine Mutter ...
    Bewusst zwang er sich, mit den Gedanken in der Gegenwart zu bleiben. Er wollte nicht mehr an sie denken. An seine Mutter. Die Verräterin.
    Er erreichte die ersten Häuser der Ortschaft. In keinem der kleinen Fenster brannte ein Licht, und Nebelschwaden und die anbrechende Dunkelheit verliehen den Cottages etwas Verlorenes. Zumindest hoffte er, dass das der Grund sein möge, warum die niedrigen Gebäude so verwahrlost wirkten. Als er früher als Junge durch das Dorf gelaufen war, hatte sich jedes Haus sauber und stolz präsentiert. Jetzt aber schien es ganz so, als kümmere es niemanden, ob die gekalkten Wände abblätterten oder das Strohdach ausgebessert werden müsste. Fast kam es ihm so vor, als wären die Leute, denen am meisten am Dorf lag, fortgegangen.
    Jermyn zog die Schultern zusammen, vergrub die Hände in den Taschen des Mantels und hielt auf die Schenke zu.
    In diesem Haus brannte Licht, aber die Fenster wiesen kein Glas, sondern Stücke geölter Leinwand auf. Er hörte Stimmen und die unverkennbaren Geräusche von klirrenden Gläsern. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, als er an das gute englische Ale dachte, das in den Wirtshäusern ausgeschenkt wurde.
    Aber er konnte nicht hineingehen. Den Stimmen nach zu urteilen waren im Augenblick viele Leute in der Schankstube. Und wenn sich abends fast das ganze Dorf dort traf, dann war mit Sicherheit auch der große Mann zugegen, den Amy als Komplizen gewonnen hatte.
    Jermyn lehnte sich an die Mauer neben einem der Fenster. Er würde so lange hier warten, bis ein stämmiger Seemann die Schenke

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