Ketten der Liebe
sah sie in ihm diesen kühlen Hüter des Gesetzes.
Offenbar hatte er bemerkt, dass sie zusammengezuckt war, denn er wandte den Blick zu ihr. »Als ich den Schuss hörte, dachte ich, du wärst tot.«
Er schien zu glauben, dass diese Worte alles erklärten.
Vielleicht war dem auch so. Als der Schuss durch das Haus dröhnte, hatte sie befürchtet, dass Jermyn nicht mehr lebte. Und allein bei dem Gedanken an diesen furchtbaren Augenblick gefror ihr das Blut in den Adern.
Sie weigerte sich, so viel für Jermyn zu empfinden.
»Sollte ich diesem Hund hier etwa gnädig gestimmt sein?«, fragte er sie.
»Ehe du ihn umbringst, solltest du besser versuchen herauszufinden, warum er hier ist und woher er wusste, wo du warst«, erwiderte sie gefasst.
Jermyn ließ die Enden des Schals los.
Der Kerl fiel rücklings zu Boden und japste nach Luft wie ein Fisch an Land.
»Wenn du diesmal nicht auf meine Fragen antwortest«, begann Jermyn mit drohendem Unterton, »dann wird es dir noch leidtun.«
Der Mann brauchte einige Anläufe, ehe er überhaupt ein Wort hervorbrachte. Seine Stimme war rau und heiser, aber es klang leicht höhnisch, als er sagte: »Wollen Sie mich zum Constable bringen?«
»Wo denkst du hin, Mann? Mach dich nicht lächerlich. Wenn du jetzt nicht den Mund auf machst, werde ich dich zu den Klippen zerren und dich in die Tiefe stoßen. Unten auf den Felsen wirst du zerschellen, und die Gezeiten werden deinen jämmerlichen Körper hinaus ins Meer ziehen.« Jermyns tadelloser Akzent bildete einen starken Kontrast zu den erbarmungslosen Worten.
Der Bursche wurde bleich und sprach dann plötzlich so hastig, als könne er die Worte gar nicht schnell genug über die Lippen bringen. »Ich hab einen Job. Krieg jeden Auftrag, wenn die nach dem Besten suchen.«
»Den besten was ?«, hakte Jermyn schroff nach.
»Den besten Killer.« Der Kerl schien auch noch stolz darauf zu sein. »Ich erschieße Leute, verstehen Sie? Gegen Geld.«
Amy hatte geahnt, was der Schurke sagen würde - was für eine Erklärung sollte er sonst abgeben? Doch als sie seine Worte vernahm, durchlief sie ein Schauer. Was war nur aus ihrem Vorhaben geworden?
»Weiter.« Jermyns Miene war ausdruckslos.
»Dieser aufgeblasene Kerl sagte, dass ich nach Settersway gehen soll. Da war jemand mit ’nem Brief. Ich sollte den Brief nicht aus den Augen lassen. Denn der würde mich zu einem anderen aufgeblasenen Kerl bringen, der im Gefängnis sitzt. Ich sollte ihn umbringen, ganz gleich, wie. Und wenn ich den Beweis mitbringe, dass er tot ist, bekomme ich wieder zwölf Guineen.«
»Eine großzügige Bezahlung«, merkte Jermyn an.
»Ich bin der Beste«, wiederholte der Bursche. »Bin dem Brief gefolgt - die Überfahrt schmeckte mir gar nicht, das kann ich Ihnen sagen. War noch nie in ’nem Boot, und der Mistkerl am Ruder hat auch noch gelacht, als ich mit’m Kopp über der Reling hing. Dann kam ich zu diesem Haus. Hab zuerst durchs Fenster geguckt. Hab die alte Frau in der Küche gesehen. Und Sie habe ich durch das kleine Kellerfenster gesehen. Sie hatten ’ne Kette am Bein, und deshalb dachte ich, Sie wären mein Mann. Hab gedacht, Sie könnten sich nicht vom Fleck rühren, wegen der Kette. Und dann bin ich runter zur Schenke und hab mir was zu beißen geholt. Schätze, da sind Sie wohl aus’m Keller raus, oder?«
»Erraten.«
»Als ich die Alte dann die Straße runtergehen sah, wollte ich losschlagen. Schlich mich in den Keller und schoss auf Sie ... aber Sie waren gar nicht mehr da.«
»Genau.«
»Sie waren gar nicht richtig angekettet?«
»Nein.«
»Verdammt. Dieser Mr. Edmondson war sich so sicher, dass ich Ihnen ganz leicht das Licht auspusten kann.«
Der Name schien von den Wänden widerzuhallen. Amy fröstelte. Sie spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich.
»Den kennen Sie wohl, wie?« Der Kerl ließ seinen frechen Blick zwischen Jermyn und Amy hin- und hergleiten. »Jagt einem Angst ein, dieser Mr. Edmondson. Gab mir das Geld, ohne den Preis runterzuhandeln. Dann hat er mir gesagt, was mir blüht, wenn ich versage. Er sagte, er würde mich jagen, mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen und mich am höchsten Balken aufknüpfen. Als Abschreckung für die Diener, die ihn enttäuschen. Dachte erst, er blufft bloß, aber der Butler wurde ganz blass, als Mr. Edmondson mir drohte. Und hinterher hat der Butler mir geraten, den Job ja gut zu machen und mich nicht erwischen zu lassen. Denn Mr. Edmondson hält seine
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