Ketten der Liebe
in der Öffentlichkeit den Mut hatte, an den Worten seines Neffen zu zweifeln.
Amy zog die Stirn kraus.
»Gibt es da irgendwelche Einwände von der Dame mit der verächtlichen Miene?«, fragte Jermyn.
»Doch, du könntest ihm sagen, dass dir die Flucht gelungen ist.« Zum ersten Mal an diesem Abend schaute Amy zu ihm auf. Ihr Blick war ernst. »Aber zunächst solltest du ihm einen verzweifelten Brief schreiben und ihn bitten, endlich die Lösegeldsumme zu schicken, da du um dein Leben fürchtest.«
»Was soll das bezwecken?«, warf Mertle ein. »Wir haben doch gesehen, dass er das Lösegeld nicht zahlt.«
»Aber umso glaubwürdiger wird es sein, wenn Lord Northcliff erklärt, dass er fliehen konnte, und dann sofort darum bittet, ihm Geld zu leihen.« Amy hatte ein zufriedenes Lächeln aufgesetzt.
»Was? Warum sollte ich das tun? Das ist doch alles mein Geld.« Mit Nachdruck fügte Jermyn hinzu. »Und zwar ein beträchtliches Vermögen.«
Für jemanden, der mittellos war, legte Amy eine erstaunliche Gleichgültigkeit an den Tag. »Und das ist alles dein Geld? Dein Onkel hat also kein Geld?«
»Er erbte ein wenig, als mein Vater starb, aber das Geld gehört mir allein, ja.«
»Fällt dir ein Grund ein, warum er ausgerechnet jetzt versucht, dich umzubringen?«, fragte sie.
»Nein, ich sehe keinen.« Er suchte ihren Blick, um sicherzustellen, dass sie ihm auch zuhörte. »Aber Onkel Harrison verwaltet mein gesamtes Vermögen.«
»Vielleicht hat er dein Vermögen verloren«, sagte sie gut gelaunt.
»Sollte sich das bewahrheiten, werde ich es zurückbekommen.« Als er noch in Oxford war, hatte Jermyns Freund Mr. Fred Engledew Probleme mit einem Geldverleiher gehabt, und einer der vielen Rettungspläne sah vor, Wertpapiere zu kaufen und aus dem Verkauf Profit zu schlagen. Jermyn hatte diese Betätigung mit besonderem Interesse vorangetrieben und versuchte sich seither in dieser Branche. »Viel wahrscheinlicher ist es, dass er etwas äußerst Verabscheuungswürdiges getan hat. Vielleicht steht es schon bald in den Zeitungen.«
»Oder er geriet in Schwierigkeiten und hat einen Teil deines Familienguts verkauft. Und wenn du das nächste Mal dieses Anwesen aufsuchst, musst du leider feststellen, dass jemand anders dort eingezogen ist.«
»Amy, was für eine furchtbare Vorstellung!« Miss Victorine schüttelte tadelnd den Kopf.
»Ach, kommen Sie, das Ganze könnte eine richtige Farce sein«, meinte Amy.
Jermyn gestattete ihr das kleine Vergnügen, ihn zu necken. Denn schließlich würde er an diesem Abend in den Genuss ganz anderer Vergnügen kommen. »Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass es etwas mit meinem dreißigsten Geburtstag zu tun hat.«
»Oh, sehr clever von Ihnen, Mylord.« Amy stand auf und begann, den Tisch abzuräumen. »Das scheint mir sehr wahrscheinlich zu sein.«
Mertle schüttelte missbilligend den Kopf, drückte Amy wieder auf den Stuhl und räumte das Geschirr selbst ab.
Jermyn indes ahnte, dass Amy bewusst nach einer Beschäftigung suchte. Sie wusste, dass Jermyn auf Vergeltung aus war und sie bei ihrem Schicksal kein Mitspracherecht hatte. Das Abwarten setzte ihr zusehends zu - und Jermyn erfreute sich insgeheim an ihrem Leid.
»Zahlt dein Onkel deine Ausgaben?«, fragte sie.
»Er kümmert sich um die Rechnungsbücher meiner Besitztümer. Jedes Jahr erhalte ich eine große Summe für meinen eigenen Bedarf. Natürlich habe ich nie mehr benötigt.«
»Ausgezeichnet. Bitte ihn um mehr.« Amy dachte weiter über ihren Plan nach. »Wir setzen das Gerücht in die Welt, dass du dem Glücksspiel verfallen bist. Das dürfte nicht schwer sein. Und sobald dein Onkel erfährt, dass du exzessiv gespielt hast und nun um eine Abschlagzahlung bittest, wird er denken, dass du deine eigene Entführung arrangiert hast, um mehr Geld aus ihm herauszupressen.«
Amy überraschte ihre Zuhörerschaft, denn Pom gab ein Glucksen von sich. Mertle begann zu kichern, während Miss Victorine vor Schreck der Atem wegblieb. »Mein liebes Mädchen, Sie kommen wahrlich auf die außergewöhnlichsten Gedanken.«
Jermyn war ganz ihrer Meinung. Jene Frau, die einen Plan zu seiner Entführung entsann und sich Gedanken machte, wie man sich dem böswilligen Onkel zu widersetzen hatte, besaß einen außergewöhnlichen Geist. Eines Tages gedachte er herauszufinden, woher sie diese Veranlagung hatte. Aber ... »Es ist ja nicht sein Vermögen«, rief Jermyn ihr in Erinnerung.
»Es hört sich aber so an, als würde er
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