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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Bis spät ins 19. Jahrhundert hinein wurden Selbstmörder in besonderen Teilen des Friedhofs, die man »Selbstmörder-Ecke« nannte, beigesetzt. Meist lag sie an der dunklen und schattigen Nordseite der Kirche. Der Brauch ging auf alte germanische Vorstellungen zurück. Diese Stelle war nur für rastlose Seelen geeignet, weil man Selbstmord für eine unverzeihliche Sünde und die Geister von Selbstmördern für äußerst gefährlich hielt. Auf manchen Friedhöfen wurden Selbstmörder überhaupt nicht begraben. Der einzig mögliche Ort für ihr Grab war eine Wegkreuzung. Zusätzlich wurde den Toten noch ein Holzpflock durch das Herz gestoßen, um zu verhindern, daß sie als Geist an dieser Stelle wieder erschienen…
    ***
    Manche nannten ihn ein Werkzeug des Teufels, andere wiederum hatten überhaupt keinen Namen für ihn, weil ihnen die Furcht davor den Mund verschloß. Auf jeden Fall wurde er von den Menschen mehr gehaßt und gefürchtet als geliebt. Auf ihn verzichten konnte jedoch niemand. Sie brauchten ihn, denn die Zeiten waren unruhig und voller Gefahren. Es kam nicht oft vor, daß er leerstand. Irgend jemand machte sich immer eines Vergehens oder Verbrechens schuldig, um an ihm sein Leben auszuhauchen.
    Es war der Mörder-Galgen!
    Er stand im Schatten der Kirche, als Abschreckung für die Bösen, ein Mahnmal für die Gerechten. Nachts, wenn der Wind über das Land fuhr und die Büsche des alten Friedhofs geisterhaft bewegte, dann konnte man ihn sogar hören.
    Sein Holz ächzte und stöhnte. Abergläubische Menschen behaupteten, es wären die Geister der Gehängten, die keine Ruhe fanden und für alle Ewigkeiten ihren unsichtbaren, höllischen Reigen um den Galgen tanzten.
    Nicht weit entfernt stand die Kirche. Kein großes Bauwerk, aber in ihrer strengen Form noch an die Romanik erinnernd. Niemand betete für die Seelen der Verdammten, aber jeder wußte, daß sie unsichtbar um die Mauern der Kirche streiften. Die Angst ging um.
    Und eines Tages passierte es. Man hatte zwei Wochen zuvor einen Mörder aufgehängt, der seine Frau und seine Tochter erschlagen hatte. Da kein neuer Fall vorlag, hing er sehr lange am Galgen, als Abschreckung für die Menschen.
    Es waren nur wenige, die sich den Toten anschauten. Eines Abends im späten Oktober jedoch, als die Messe zelebriert wurde und der Küster seinen letzten Rundgang machte, wobei er auch den Friedhof nicht ausließ, geschah es.
    Der Galgen war leer!
    Der Küster sah dies, blieb minutenlang vor dem Gerüst stehen und holte röchelnd Luft. Aus weit geöffneten Augen schaute er die Schlinge an, die sich im Nachtwind bewegte wie ein Pendel, und ihn erfaßte das kalte Grauen.
    Jemand hatte den Toten gestohlen! Eine andere Möglichkeit gab es für den Küster nicht, den Mann mußte jemand abgenommen haben, und er begann zu zittern, daß seine Zähne hart aufeinanderschlugen. Der Schweiß drang ihm aus allen Poren. Mit weichen Knien lief er zurück und spürte plötzlich die Kälte, die seinen gesamten Körper erfaßte, wobei sie am Kopf anfing und erst in den Zehenspitzen aufhörte. Wie zu Eis geworden, stand er da!
    Unbeweglich, flach atmend, mit der Angst im Nacken sitzend. Ohne sich umzudrehen, wußte er, wer hinter ihm stand. Ein Geist - der Geist des Toten.
    Er schauderte. Über seinen Rücken liefen die kalten Schauer so schnell, als wolle einer den anderen einholen. Er wußte nicht, was er tun sollte, das Grauen war zu plötzlich über ihn gekommen, und er sank langsam in die Knie.
    Der Boden war weich. Es hatte in den letzten beiden Tagen geregnet. Laub hatte einen dichten Teppich gebildet. Es knisterte zwischen seinen gespreizten Fingern, und von den nahen Wiesen her wurden große Nebelschleier wie gewaltige Leichentücher herbeigeweht. Vorboten eines drohenden Todes, der auch ihn bald umfangen würde, dessen war sich der Küster bewußt.
    Die Kälte hinter ihm nahm zu. Sie schnürte ihn zusammen, seine Atmung stockte, das Herz schlug überlaut, die Echos hallten in seinem Schädel wider, und dann hörte er die Stimme.
    »Ich bin es, mein Lieber. Erkennst du mich nicht, Küster? Du warst doch auch dabei, als man mich hängen wollte, nicht wahr? Du hast mitgestarrt, mitgelacht, mitgegafft. Jetzt werde ich mich rächen. Ich werde euren schönen Friedhof zu einem Ort des Bösen machen, und du wirst damit beginnen. Hier!«
    Kaum hatte der Unbekannte das letzte Wort ausgesprochen, als er vor sich das bläuliche Flimmern sah. Es hatte menschliche Konturen, und der

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