Ketzer
sorgfältig und befeuchtete sich beim Sprechen mit der Zunge die Lippen. »Er glaubte, er könne Gott gleich werden. Und dieser Sünde macht Ihr Euch auch schuldig, Giordano Bruno. Ihr seid einer der begabtesten jungen Männer, mit denen ich während meiner Jahre in San Domenico Maggiore zu tun gehabt habe, doch Eure Neugier und Euer Stolz auf Eure Fähigkeiten halten Euch davon ab, Eure Gaben zum Ruhm der Kirche zu nutzen. Es ist an der Zeit, dass sich der Vater Inquisitor einmal mit Euch befasst.«
»Nein, Padre, bitte – ich habe nichts Unrechtes getan«, protestierte ich, als er sich zum Gehen wandte, doch in diesem Moment erklang hinter ihm Montalcinos Stimme.
»Hochwürdigster Vater Abt! Hier ist etwas, das Ihr Euch
ansehen solltet!« Er hielt seine Fackel in das Loch des Abtritts. Ein Ausdruck boshafter Freude trat auf sein Gesicht.
Vita erbleichte, beugte sich aber vor, um zu sehen, was der Toskaner entdeckt hatte. Sichtlich zufrieden drehte er sich zu mir um.
»Bruder Giordano – kehrt in Eure Zelle zurück und erwartet dort meine weiteren Befehle. Diese Angelegenheit muss unverzüglich der Heiligen Inquisition gemeldet werden. Bruder Montalcino – holt das Buch aus dem Abtritt! Wir wollen uns mit eigenen Augen davon überzeugen, welche ketzerischen Werke unser Bruder hier mit einem Eifer studiert, den er meines Wissens der Heiligen Schrift noch nie gewidmet hat.«
Montalcinos entsetzter Blick wanderte von mir zum Abt. Ich hatte lange genug auf dem Abtritt gehockt, um mich an den Gestank gewöhnt zu haben, aber bei der Vorstellung, die Hand in die Grube unter dem Holzbrett tauchen zu müssen, stieg Übelkeit in mir auf. Dennoch strahlte ich Montalcino an.
»Ich, Vater Abt?«, fragte dieser mit sich überschlagender Stimme.
»Ja, Ihr, Bruder – und beeilt Euch gefälligst.« Abt Vita zog seinen Umhang zum Schutz vor der kühlen Nachtluft enger um sich.
»Ich kann Euch die Mühe ersparen«, warf ich ein. »Es sind nur Erasmus’ Kommentare. Sie enthalten keine schwarze Magie.«
»Die Werke von Erasmus stehen auf dem Index verbotener Bücher der Inquisition, wie Ihr sehr wohl wisst, Bruder Giordano«, entgegnete Vita grimmig. Wieder fixierte er mich mit einem emotionslosen Blick. »Aber wir werden ja sehen. Ihr habt uns lange genug zum Narren gehalten. Es ist an der Zeit, die Reinheit Eures Glaubens auf die Probe zu stellen. Bruder Battista!« Das galt einem der anderen Mönche mit Fackeln, der diensteifrig näher kam. »Schickt nach dem Vater Inquisitor!«
Ich hätte auf die Knie fallen und um Gnade flehen können, das wäre jedoch würdelos gewesen. Außerdem war Abt Vita ein
Mann, der es liebte, wenn die Dinge ihren geregelten Gang gingen. Wenn er beschlossen hatte, mich der Inquisition auszuliefern – vielleicht als warnendes Beispiel für meine Mitbrüder –, dann würde er sich von diesem Kurs nicht abbringen lassen, sondern die Sache bis zum bitteren Ende ausfechten. Und ich fürchtete, ich wusste, was das hieße. Ich zog meine Kapuze über den Kopf und folgte dem Abt und seinen Begleitern aus der Latrine, wobei ich Montalcino, der die Ärmel seiner Kutte aufkrempelte und sich anschickte, meinen Erasmus aus der Grube zu fischen, einen letzten Blick zuwarf.
»Betrachte es von der positiven Seite, Bruder«, feixte ich. »Meine Scheiße duftet wenigstens süßer als die aller anderen im Kloster.«
Montalcino blickte auf. Sein Mund verzog sich vor Bitterkeit oder Ekel.
»Deine geistreichen Sprüche werden dir vergehen, wenn ein glühender Schürhaken in deinem Arsch steckt, Bruno«, konterte er mit einem bedauerlichen Mangel an christlicher Nächstenliebe.
Draußen im Kreuzgang schlug mir die frische neapolitanische Nachtluft entgegen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinem Mund, und ich atmete tief durch, dankbar dafür, diesem engen, stinkenden Ort der Erleichterung entronnen zu sein. Rings um mich herum ragten die mächtigen Steinmauern der Klostergebäude im Dunkeln auf; der Kreuzgang wurde von ihrem Schatten verschluckt. Links von mir erhob sich die Fassade der riesigen Basilika. Mit bleischweren Schritten ging ich auf die Unterkünfte der Mönche zu, dabei verrenkte ich mir den Hals, um die am Himmel funkelnden Sterne betrachten zu können. Die Kirche lehrte nach Aristoteles, dass die Sterne alle im gleichen Abstand zueinander in der achten Sphäre über der Erde ständen und gemeinsam in ihrer Umlaufbahn um sie herum kreisten, so wie die Sonne und die sieben Planeten
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