Ketzer
Außerdem scharten sich viele Menschen um einen Musikantentrupp, der eine Tanzweise angestimmt hatte.
»Aber jetzt verrate mir eines, Bruno – du willst doch nicht nur nach Oxford, um mit einer Horde stumpfsinniger Akademiker über Kopernikus zu diskutieren«, fuhr Sidney mit gedämpfter Stimme fort. »Sowie ich erfuhr, dass du nach England gekommen bist, ahnte ich, dass du irgendetwas Wichtigem auf der Spur sein musst.«
Ich blickte mich rasch nach allen Seiten um. Niemand befand sich in Hörweite.
»Ich bin auf der Suche nach einem Buch«, bekannte ich dann. »Nach einem, dem ich schon lange hinterherjage, und jetzt glaube ich, dass es nach England gebracht worden ist.«
»Wusste ich’s doch!« Sidney packte mich am Arm und zog mich näher zu sich. »Und wovon handelt dieses Buch? Von irgendwelcher schwarzen Magie, mittels derer man die Macht des Universums freisetzen kann? Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich schon in Padua mit derlei Dingen beschäftigt.«
Ich konnte nicht sagen, ob er sich über mich lustig machte oder nicht, doch ich beschloss, auf die Freundschaft zu vertrauen, die sich in Italien zwischen uns entwickelt hatte.
»Was würdest du sagen, Philip, wenn ich behaupte, dass das Universum unendlich ist?«
Er runzelte zweifelnd die Stirn.
»Ich würde sagen, das ginge sogar noch über Kopernikus’ Ketzerei hinaus und du solltest deine Zunge hüten.«
»Ich glaube aber fest daran«, beharrte ich ruhig. »Kopernikus hat nur die halbe Wahrheit herausgefunden. Aristoteles’ Bild des Kosmos mit Fixsternen und sieben Planeten, die die Erde umkreisen – das ist purer Unsinn. Kopernikus hat die Erde durch die Sonne als Mittelpunkt des Kosmos ersetzt, ich jedoch gehe noch weiter und sage, es gibt viele Sonnen, viele Mittelpunkte – so viele wie Sterne am Himmel. Das Universum ist unendlich, und wenn das zutrifft, warum sollte es nicht mit anderen Erden, anderen Welten und anderen Geschöpfen wie uns bevölkert sein? Ich habe beschlossen, es mir zur Lebensaufgabe zu machen, das zu beweisen.«
»Wie willst du das denn anstellen?«
»Ich will das alles mit eigenen Augen sehen«, versetzte ich, dabei starrte ich über den Fluss hinweg, weil ich ihm nicht in die Augen zu sehen wagte. »Ich werde in die Weiten des Universums hinter den Himmelskörpern vordringen.«
»Und wie genau soll sich das bewerkstelligen lassen? Willst du fliegen lernen?« In seiner Stimme schwangen jetzt Zweifel mit. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen.
»Mittels des geheimen Wissens, das das verloren gegangene Buch des ägyptischen Weisen Hermes Trismegistos enthält, der diese Mysterien als Erster verstanden hat. Wenn es mir glücken sollte, es ausfindig zu machen, werde ich lernen, wie man im Licht göttlichen Verständnisses durch die Sphären aufsteigen und in den göttlichen Wesenskern eindringen kann.«
»In den Geist Gottes eindringen, Bruno?«
»Nein, hör zu. Seit wir uns zuletzt gesehen haben, habe ich die antike Magie der hermetischen Schriften und der hebräischen Kabbala studiert und begonnen, Dinge zu verstehen, die du für unmöglich halten würdest.« Ich zögerte. »Wenn ich lernen kann, den Aufstieg zu vollziehen, den Hermes beschreibt, dann werde ich einen Blick auf das erhaschen, was jenseits des uns bekannten Kosmos liegt – das unendliche Universum und seine Seele, von der wir alle ein Teil sind.«
Ich dachte, er würde anfangen zu lachen, doch stattdessen wirkte er mit einem Mal sehr nachdenklich.
»Das klingt für mich nach gefährlicher Hexerei, Bruno. Und was würdest du damit beweisen? Dass es keinen Gott gibt?«
»Dass wir alle Gott sind«, gab ich bestimmt zurück. »Die Göttlichkeit wohnt in uns allen und in der Materie des Universums. Mit dem richtigen Wissen können wir uns sämtliche Kräfte des Kosmos zunutze machen. Wenn wir das begreifen, können wir Gott gleich werden.«
Sidney starrte mich ungläubig an.
»Beim Blut Christi, Bruno! Du kannst nicht herumlaufen und dich mit Gott auf eine Stufe stellen! Hier gibt es zwar keine
Inquisition, aber keine christliche Kirche wird die Verbreitung solcher Theorien einfach hinnehmen – du wirst auf direktem Weg ins Feuer wandern!«
»Weil die christliche Kirche durch und durch korrupt ist, jede einzelne Splittergruppe davon – genau das will ich ja aufzeigen. Sie ist nur ein blasser Schatten, ein Abglanz einer alten Wahrheit, die schon lange existiert hat, bevor Christus auf Erden wandelte. Wenn uns das einmal
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