Jezebel
»Holt diesen Bullen her! Holt diesen verdammten Sinclair! Wenn nicht, töte ich das Kind! – Mir ist alles egal. Ich bin sowieso verloren. Aber ich will mit Sinclair reden!«
Die Männer des Sonderkommandos, die das Haus umstellt hielten, wußten nicht mehr weiter. In dieser Bruchbude befand sich Archie Todd.
In seinen Händen befand sich ein siebenjähriges Mädchen, das er auf der Straße in seine Gewalt gebracht hatte.
Der Einsatzleiter schwitzte unter seiner kugelsicheren Weste. Das Nervenspiel dauerte jetzt schon eine Stunde, und Todd hatte seine Forderung bereits mehrmals wiederholt.
Die Experten sahen im Augenblick keine Chance, das Mädchen zu befreien, und der Einsatzleiter lenkte ein. »Okay«, sagte er zu den anderen. »Wenn ihm so daran gelegen ist, dann holt diesen Sinclair her!«
»Wer ist das eigentlich?« fragte jemand.
»Ein entfernter Kollege«, antwortete ein anderer.
Der Einsatzleiter, er hieß Burns, präzisierte. »Ich kenne ihn. Sinclair ist ein Yard-Mann.«
Jemand lachte. »Warum will er ausgerechnet mit dem sprechen?«
»Das frage ich ihn selbst.« Burns griff zu seiner Flüstertüte, setzte das Megaphon dicht vor die Lippen und ließ seine Stimme in die Nacht hineinschallen, die hier vor Ort nicht mehr so dunkel war, weil ein Scheinwerfer das Haus anstrahlte. Alle anderen hatten ausgeschaltet werden müssen, da hatte sich Todd durchgesetzt. »Hören Sie mich, Todd?«
Sekunden später kam die Antwort. »Ja, verdammt, ich höre euch. Habt ihr es euch überlegt?«
»Ja.«
»Und?«
»Wir holen Sinclair.«
»Gut, sehr gut. Ich werde die Kleine freilassen, sobald er zu mir gekommen ist. Nicht vorher. Und keine Tricks! Seine Kanone kann er ruhig mitbringen, das ist mir egal. Es kommt mir nur darauf an, mit ihm zu reden. Und das verdammt schnell, hört ihr? Ich gebe euch zwei Stunden. Keine Sekunde mehr!«
»Zu wenig!« rief Burns zurück.
»Halt’s Maul!« Todd keuchte, weil seine Stimme allmählich versagte.
»Zwei Stunden, ihr Hundesöhne! Das schafft er von London aus. Wenn nicht, schneide ich der Kleinen hier die Kehle durch.«
»Dann hacke ich dir den Schwanz ab!« sagte Burns, nachdem er die Flüstertüte hatte sinken lassen. Kurz danach hob er sie an, um erneut zu sprechen. »Einverstanden, Todd. Zwei Stunden. Ich hoffe, wir erreichen ihn.«
»Bestimmt!«
Burns stellte das Megaphon ab und holte aus seiner Jackentasche ein Handy. Er kannte die Telefonnummer dieses Mannes nicht, hoffte aber, sie über die Zentrale beim Yard zu erfahren. Es war genau drei Minuten vor zweiundzwanzig Uhr, als er die Nummer des Yards eintippte…
***
Todd, dachte ich, Archie Todd. Dabei schüttelte ich den Kopf, während ich den Rover durch die Nacht in Richtung Nordosten scheuchte. Den Namen hatte ich noch nie gehört, und ich wußte auch nicht, weshalb er mich sprechen wollte.
Aber ich war über ihn informiert worden und wußte, daß er sich mit einem Kind als Geisel verschanzt und den Kollegen vom Einsatzkommando ein Ultimatum gestellt hatte.
Zwei Stunden. Wenn ich dann nicht bei ihm auftauchte, würde er das Kind umbringen. Das hatte ich so recht nicht glauben wollen, aber Kollege Burns, der Einsatzleiter, hatte mich bei unserem Telefongespräch davon überzeugt, daß Archie Todd zu allem fähig war.
Er reagierte wie jemand, der sich aufgegeben hatte.
So war ich dann losgefahren.
Hinein in die kalte Nacht. Hinein in die Dunkelheit, die einen sternenklaren Himmel zeigte. Die Temperatur lag nur knapp über dem Gefrierpunkt.
Suko war im Bett geblieben. Außerdem wußte er nichts von meiner nächtlichen Reise. Zudem hatte dieser Todd nur mich verlangt.
Sosehr ich auch grübelte, der Name sagte mir nichts, und ich wußte auch nicht, woher mich Todd kannte. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte mir, daß mir noch eine gute halbe Stunde Zeit blieb. Da hätten selbst Pessimisten nichts dagegen haben können, das war leicht und locker zu schaffen.
Sternenklar und kalt. Nächte für den Winter, aber nicht für das Frühjahr, das wir laut Kalender schrieben. Das Licht vor dem Wagen gab der Straße einen hellen Anstrich. Rechts und links flog die Landschaft vorbei, von der ich nichts erkannte. Sie war wie ein einziger großer Schatten, der ab und zu Lücken aufwies, dann aber wieder zusammenwuchs. Und fremde Lichter sah ich nur wenige. Einzelne Häuser oder Orte, die abseits meiner Route lagen.
Der Verkehr war nicht erwähnenswert, und so konnte ich mich auf das konzentrieren,
Weitere Kostenlose Bücher