Ketzer
klar ist, ist auch eine echte Reform der Kirche möglich. Die Menschen würden über den Zwistigkeiten stehen, wegen derer so viel Blut vergossen wurde und noch vergossen wird, und verstehen, dass sie im Grunde genommen eins sind.«
Sidneys Gesicht wurde noch ernster.
»Mein alter Lehrer Doktor Dee hat auch solche Ansichten vertreten. – Er hatte während der Zerstörung der Klosterbibliotheken viele solcher Manuskripte über antike Magie gerettet und gesammelt und wurde deswegen als Nekromant bezeichnet – und das nicht nur vom gewöhnlichen Volk. Für ihn sprach allemal, dass er gebürtiger Engländer und darüber hinaus der Hofastrologe der Königin ist. Du aber sei besonders vorsichtig, mein Freund! Sieh zu, dass du nicht ebenfalls in den Ruf gerätst, ein schwarzer Magier zu sein – als Katholik und Ausländer bist du ohnehin schon verdächtig genug.« Er trat zurück und musterte mich neugierig. »Dieses Buch – glaubst du, du wirst es in Oxford finden?«
»Während meiner Zeit in Paris erfuhr ich, dass es gegen Ende des letzten Jahrhunderts nach Florenz geschafft wurde, und falls mein Informant die Wahrheit gesagt hat, hat es ein englischer Sammler einer der hiesigen großen Bibliotheken geschenkt, wo es unbeachtet verstaubt, weil niemand, der es je in den Händen hielt, seine Bedeutung erkannt hat. Viele Engländer, die Italien bereist haben, haben an englischen Universitäten studiert und ihnen ihre Büchersammlungen hinterlassen, also kann ich mit meiner Suche genauso gut in Oxford anfangen wie anderswo.«
»Du solltest damit beginnen, dass du John Dee zu Rate
ziehst«, schlug Sidney vor. »Er besitzt die größte Privatbibliothek in Europa.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wenn dein Doktor Dee dieses Buch hätte, wüsste er, worauf er da gestoßen ist, und hätte diese Erkenntnis irgendwie publik gemacht. Nein, es ist bislang noch nicht gefunden worden, davon bin ich überzeugt.«
»Wenn du meinst … Doch denk daran, dass du in Oxford in erster Linie Walsinghams Auftrag ausführen musst.« Er schlug mir erneut auf den Rücken. »Und vergiss über deinen Schnüffeleien in den Bibliotheken bitte nicht, dass ich auch noch da bin, Bruno! Während unseres Aufenthaltes dort will ich mich ein bisschen amüsieren. Schlimm genug, dass ich für diesen aufgeplusterten polnischen Pfau Laski das Kindermädchen spielen muss – ich will nicht auch noch jeden Abend in der Gesellschaft einer Schar rückständiger alter Theologen verbringen, vielen Dank! Wir beide werden die Stadt unsicher machen und dafür sorgen, dass die Frauen von Oxford ein paar Tage lang breitbeinig gehen müssen!«
»Ich dachte, du sollst Walsinghams Tochter heiraten?« Entrüstung heuchelnd zog ich eine Augenbraue hoch.
Sidney verdrehte die Augen.
»Wenn die Königin geruht, ihre Zustimmung zu geben. In der Zwischenzeit fühle ich mich nicht an ein Ehegelübde gebunden. Und – wie steht es mit dir, Bruno? Hast du dich auf deiner Reise durch Europa für die Jahre im Kloster schadlos gehalten?« Er versetzte mir einen viel sagenden Rippenstoß.
Ich rieb mir lächelnd die Seite.
»Vor drei Jahren, in Toulouse, gab es eine Frau namens Morgana, die Tochter eines hugenottischen Edelmanns. Ich habe ihrem Bruder Privatunterricht in Metaphysik erteilt, aber jedes Mal, wenn ihr Vater nicht daheim war, bat sie mich, noch länger zu bleiben und mit ihr zu lesen. Sie hungerte geradezu nach Wissen – was bei Frauen aus wohlhabenden Familien sehr selten vorkommt, wie ich festgestellt habe.«
»War sie hübsch?« Sidneys Augen funkelten.
»Sie war wunderschön.« Ich biss mir auf die Lippe, als ich Morganas strahlend blaue Augen wieder vor mir sah und mich daran erinnerte, wie sie versucht hatte, mich zum Lachen zu bringen, wenn sie fand, dass ich zu tief in Schwermut versinke. »Ich habe ihr heimlich den Hof gemacht, ich glaubte allerdings immer, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt sein würde. Dem Wunsch ihres Vaters gemäß sollte sie einen hugenottischen Adligen heiraten, keinen italienischen Katholiken auf der Flucht. Selbst als ich als Professor der Philosophie an die Universität von Toulouse berufen wurde und genug verdiente, um eine Familie gründen zu können, hätte er einer solchen Verbindung nie zugestimmt, und er drohte, seinen gesamten Einfluss in der Stadt aufzubieten, um mich zu vernichten.«
»Was geschah dann?«, erkundigte sich Sidney fasziniert.
»Morgana flehte mich an, mit ihr fortzulaufen.« Ich seufzte. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher