KillerHure
Wenn es aber jederzeit passieren kann, einfach so, dann beraubt mich das der mühsam zusammengekratzten Sicherheit, die meine verdrehte gequälte Existenz halbwegs erträglich macht. Ich bin nicht sicher, ob ich mich dem stellen will. Oder ob es nicht viel besser und einfacher und gnädiger ist, mich unwiderruflich in den schwarzen Schlund hineinfallen zu lassen, der sich bei einem Anfall immer in meiner Mitte auftut. Mir absoluter Schärfe ist mir klar, dass dann mein Körper vielleicht noch da wäre, aber ich selbst wäre weg. Verschwunden. Ausgelöscht. Tot ...
Irgendwann komme ich notdürftig zu mir. Ich liege zitternd und schlotternd und zuckend in einer schmerzhaft zusammengekrümmten Embryonalhaltung, Arme und Beine fest an den Leib gepresst, wie ein prähistorischer Grabfund. Thierry hält mich, streicht mir über die schweißnasse Stirn und murmelt sinnlose, beruhigende Laute. Ich bin leer und ausgedörrt und fühle nichts. Nada. Ein Leichnam auf Urlaub.
»Es tut mir so leid, Sarah«, flüstert Thierry. »Das wollte ich nicht. Bitte verzeih mir.« Seine Stimme hört sich so an, als hätte er geweint. Er und seine Gefühle sind völlig unbedeutend für mich, so weit weg wie der Mond. Mit offenen Augen starre ich am Sandboden entlang, erkenne trotz des schwachen Mondlichts jedes einzelne Körnchen. Jedes war einmal ein Kieselstein oder ein Felsen und wurde von Äonen von Gezeiten zerrieben, gefangen im Vor und Zurück der Wellen, von Sonne und Mond, von Wasser und Land. Welche Geschichte würden diese Körnchen erzählen?
»Sarah? Verstehst du mich? Bitte sag etwas.«
Trotz ihrer Bedeutungslosigkeit reagiere ich auf die Worte. Reine Gewohnheit vermutlich. Ich sehe Thierry an.
»Es ist meine Schuld«, sagt er. Ich verstehe ihn nicht. Bemühe mich auch gar nicht erst.
»Ich dachte, du ... wärst jemand anderes. Ich dachte, du wärst geschickt worden. Um mich auszuhorchen. Verstehst du, ich bin mit einem großen Projekt beschäftigt. Es geht um Unsummen von Geld. Und der Sicherheitsdienst hatte mich gewarnt, dass jemand versuchen könnte, sich an mich heranzumachen.« Er redet jetzt schnell, will es hinter sich bringen, sprudelt alles heraus. Mit einiger Verzögerung begreife ich, was er sagt.
»Als du dann heute Morgen aufgetaucht bist, da dachte ich, das kann kein Zufall sein! Du siehst meiner Frau so ähnlich, hast sogar ähnliche Kleider an. Du bist so schnell an Bord gekommen, hast dich mit Natalie angefreundet. Ich dachte, meine Verführung wäre einfach der nächste Punkt auf dem Plan. Also wollte ich dich testen, wollte ein für alle Mal wissen, ob das so ist oder nicht.« Er reibt sich müde über die Augen. »Ich wollte den Spieß umdrehen und dich benutzen. Wie eine Hure, die schon von jemand anderem bezahlt ist. Und dich dann hier zurück lassen. Einfach wegsegeln. Über dich lachen.«
Die hohntriefende Ironie der Situation springt mich an. Was meine ausgetüftelten Intrigen nicht geschafft haben, das schaffe ich durch meine seelischen Defekte. Thierry glaubt mir, er vertraut mir jetzt. Mir, dem Wrack! Nicht mir, der letzten Instanz. Eigentlich müsste ich jetzt in ein nicht mehr zu stoppendes Gelächter ausbrechen, aber ich bin so hohl wie ein abgestorbener Baumstumpf und starre ihn nur weiter an.
»Ich wollte schneller sein als du, wollte den Ton angeben. Ich wollte das Gefühl haben, dass ich bestimme, was passiert, nicht du«, fährt er fort und schnaubt bitter. »Dabei habe ich gespürt, dass du dich überwinden musst, dass es nicht so einfach ist. Aber ich Idiot fand das toll. Ich dachte, das wäre ein Zeichen, dass meine Strategie funktioniert. Dass ich am Drücker bin.«
»Am Drücker«, wiederhole ich automatisch mit undeutlicher Stimme, den Mund voller Watte. Die wichtigste Frage von allen ist mir gerade eingefallen: Warum hat meine Geheimwaffe diesmal denn nicht funktioniert? Was ist anders als bisher? Was hat sich verändert?
»Erst als du ... so ausgerastet bist, da ist mir klar geworden, dass ich mich praktisch gerade einer Vergewaltigung schuldig gemacht habe«, schließt er erstickt. Ich schaue weg, weil ich den aufrichtigen Schmerz in seinen Augen nicht sehen will. Das lenkt mich ab von der Spur, die ich verfolge. Von der Frage.
Was hat sich verändert?
»Ich möchte eine Weile allein sein«, flüstere ich und mache schwache Anstalten, mich zu erheben.
Thierry zieht mich hoch, hält mich noch einen Moment, als ich schwanke. Dann nimmt er seine Hände von mir, zögernd,
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