KillerHure
hilflos, und tritt einen Schritt zurück. Als ich ihn ansehe, senkt er den Kopf und trottet davon, entlang der Linie, wo immer wieder die letzten Ausläufer der sanften Nachtwellen auf dem Sand versiegen.
Ich warte ein wenig. Sehe auf zu den stillen Sternen. Nehme das Rauschen des Meeres wahr, die Kühle der Nacht. Ein wenig fühlt es sich so an, als sei ich gerade erst geboren worden. Noch warm vom Mutterleib, unversehens in diese frische, scharfe, wartende Welt geworfen.
Was hat sich verändert?
Ich folge dem ersten Impuls und drehe mich um, schreite langsam auf das schimmernde Schwarz des Meeres zu. Erste Ausläufer umspülen meine Knöchel, das Wasser fühlt sich fast wärmer an als die Luft. Angenehm. Einladend.
Die See trägt mich, wiegt mich. Mit langen, gleichmäßigen Zügen schwimme ich hinaus, passiere das weiße Ankerlicht auf der schwingenden Mastspitze der »Clementine«, und weiter. Das Wasser wird kühler hier, ich spüre eine verhaltene Strömung. Vor mir liegt der nasse Bauch des Mittelmeeres, dreihundert Kilometer gähnender Abgrund bis zur spanischen Küste. Freudig schwimme ich hinein in das undurchdringliche Schwarz.
Angst verspüre ich keine. Müßig stelle ich mir vor, dass gerade ein großer Weißer Hai direkt auf mich zu kommen könnte, das Maul weit aufgerissen. Ich würde ihn erst bemerken, wenn die rasiermesserscharfen Zähne um mich zuklappen. Oder ein Krake, mit meterlangen Fangarmen und gierig aufgesperrtem Schnabel dazwischen. Oder ein namenloses Tiefseemonster ohne Augen. All das lässt mich völlig unbeeindruckt. Ja, es belustigt mich auf eine entrückte Art. Eigentlich bin ja ich das Monster! Ich bin der Schrecken der Tiefe! Ich habe vermutlich mehr Menschen getötet, als alle Haie der Welt im letzten Jahr zusammengenommen.
Arme und Beine fühlen sich schwer an, wie betäubt von den wiederkehrenden Zügen. Ich tauche und schwimme unter Wasser weiter. Leises Blubbern in meinen Ohren, sonst enthält die Welt keine Geräusche mehr. Tiefer. Zunehmender Druck.
Ich könnte jetzt ertrinken. Einfach so. Einfach abwarten, bis die Luft in meinen Lungen verbraucht ist und der Körper nach einem neuen Atemzug verlangt. Die Arme fest an die Seiten drücken, nicht nach oben rudern, hart ausatmen, alle Luft ausstoßen, die Lungen leeren. Wasser einatmen. Den Hust- und Nies-Reflex aushalten, wenn alle Sicherheitsmechanismen versuchen, das Wasser hinauszudrücken und akut benötigten Sauerstoff hineinzubekommen. Stattdessen dringt nur neues kaltes Wasser in Nase, Mund und in die Luftröhre. Das Herz pocht schneller, rast los im vergeblichen Bemühen, die letzten Sauerstoffmoleküle an unzählige alarmierend unterversorgte Regionen zu transportieren. Dann schlägt es langsamer, stockt. Bleibt stehen. Das Bewusstsein franst aus, zerfließt. Dunkelheit, innen und außen ...
– Flash –
Harter Fels bohrt sich in meinen Rücken, mein Bein pulsiert im lodernden Schmerz des Knochenbruchs. Die Sonne brennt unbarmherzig und ich fühle mich so unendlich müde. Sogar zu müde, um über den Leichtsinn zu fluchen, mich von dem Mafiosi auf diesen Klippenpfad locken zu lassen. Fast sehnsüchtig warte ich auf seine Kugel.
– Flash –
Der Russe hockt auf mir, schwer wie ein Granitblock. Ich spüre den Drang, einfach die Augen zu schließen und an etwas anderes, Schönes zu denken. Vermutlich tut es ziemlich weh, wenn er mir mit diesem Riesenmesser die Brüste abschneidet, aber hoffentlich nicht besonders lange. Der anderen Nutte in Odessa hat er die Kehle aufgeschlitzt, hat er erzählt, also wird er mit mir wohl dasselbe machen. Das scheint mir sogar ziemlich gerecht, wenn ich an meinen Stiefvater denke.
– Flash –
Ich stehe auf dem winzigen Balkon im zwölften Stock und schaue in die nächtliche Tiefe. Es ist ein Leichtes, über das verrostete Stahlgeländer zu steigen und loszulassen. Ich weiß genau, dass die Höhe ausreicht, denn kurz vor unserem Einzug in diese Mietskaserne hat sich eine Frau aus dem zehnten Stock hier hinabgestürzt, sie war sofort tot. Der Abgrund singt lieblich in meinen Ohren...
Laut spritzend breche ich durch die Oberfläche und sauge den süßen, reinen Äther der nächtlichen Meeresluft in mich hinein. Nein! Ich bin nicht bereit gewesen, den Verstand zu verlieren. Und ich bin auch jetzt nicht bereit, mein Leben wegzuwerfen. Ebenso wenig wie bisher. Ebenso wenig wie Ellen Ripley.
Vielleicht kann ich meinen Anspruch der letzten Instanz nicht aufrechterhalten,
Weitere Kostenlose Bücher