Lodernde Träume
Hewlett-Packard
1
England, 1878
»Was erlauben Sie sich, mich so anzustarren, Tyler Whately?«
Megan Penworthys Stimme klang ungebührlich scharf, doch genau das war ihre Absicht. Ihr Blick war hochmütig und voller Verachtung, so als wäre ihr dieser Mann zutiefst zuwider. Dabei war es eigentlich ganz anders. Im Grunde ihres Herzens mochte sie den Ehrenwerten Tyler Whately sogar ausgesprochen gern.
Er war ein gutaussehender Mann, mit hellblondem wirrem Haar, das nur ein paar Tropfen Macassar-Öl gebraucht hätte, um in Form zu kommen. Er trug einen feschen Schnauzer und einen gestutzten Backenbart, der sein kraftvolles Kinn nicht verbergen konnte. Auch seine dunkelgrünen Augen waren sehr hübsch. Er war zwar groß, doch nicht so groß, dass sich ein Mädchen den Hals verrenken musste , wenn es zu ihm aufschaute. Und obwohl er schlank war und keineswegs ein einschüchternder Muskelprotz, strahlte sein Körper Kraft aus. Mit seinen 27 Jahren war er ein junger Mann mit glänzenden Zukunftsaussichten, außerdem hatte er von den Großeltern seiner Mutter ein nicht unbeträchtliches Vermögen geerbt.
Megan war sich völlig im klaren, dass Tyler eine ausgesprochen gute Partie war. Womöglich hätte sie ihn sich sogar geangelt, doch ihre beste Freundin, Tiffany Roberts, hatte ihr, gleich nachdem sie ihn beide zum ersten Mal gesehen hatten, gestanden, dass sie ihn unbedingt haben wollte.
Genau so hatte sie es ausgedrückt: »Ich muss ihn haben, Meg.« Die beiden Mädchen hatten sich nie ein Blatt vor den Mund genommen - zumindest wenn sie unter sich waren und nicht fürchten musste n, jemanden, der Zeuge ihres Gesprächs wurde, mit ihrer Unverblümtheit zu schockieren. Doch an jenem Tag war Tiffany dermaßen aufgeregt, dass es ihr völlig egal war, ob jemand zuhörte. »Wirklich, Meg, er ist der Richtige! Ich hatte so ein Gefühl wie noch nie, so ..., als er mich anlächelte - mein Gott, ich kann's einfach nicht beschreiben, ich schwör' dir, ich wär' fast in Ohnmacht gefallen.«
»Wahrscheinlich war dein Korsett wieder mal zu eng geschnürt«, grinste Megan mit einem Augenzwinkern. »Du weißt doch, du muss t immer einen Spalt Luft lassen, damit du noch atmen kannst.«
»Ach, hör doch auf«, lachte Tiffany. »Es ist mein voller Ernst. Sag mir, Meg, was kann ich bloß machen, um ihn für mich zu gewinnen?«
Megan war fünf Monate älter, und deshalb meinte Tiffany immer, ihre Freundin müsste in Fragen der Liebe alle Antworten parat haben, doch gerade dieses Thema war für Megan, auch wenn sie es selbst nicht so recht wahrhaben wollte, ein Buch mit sieben Siegeln. Wo immer sie auftauchte, war sie sofort von Männern umschwärmt. Es war ihr oft richtig peinlich, besonders, weil sie von sich aus überhaupt nichts dazu tat. Aber nachdem sie zwei Jahre lang miterlebt hatte, wie fast jeder heiratsfähige Mann aus der näheren Umgebung ihr den Hof machte, war sie zu der Überzeugung gekommen, dass es wohl ihre Augen waren und ihre Art, die Männer anzuschauen, die ihnen den Kopf verdrehte. Dabei hatte sie so ziemlich die unmöglichste Haarfarbe im ganzen Königreich England: ein grässliches , auffallend helles Kupferrot - leider das einzige, was sie von ihrem Vater geerbt hatte.
Und deshalb hatte Megan an diesem Tag nur ihren gesunden Menschenverstand zu Hilfe genommen und ihrer Freundin geraten: »Sei einfach so, wie du bist, dann hat er überhaupt keine Chance, deinem Charme zu widerstehen.«
Und genauso kam es. Es waren keine zwei Monate seit ihrer ersten Begegnung vergangen, da hielt der Ehrenwerte Tyler um Tiffanys Hand an. In knapp drei Monaten, an ihrem achtzehnten Geburtstag, wollten sie heiraten. Und Tyler, der Sohn eines Vicomtes, hatte nicht vor, dies in aller Stille zu tun. Es sollte ein Fest mit Glanz und Glorie werden, auf dem Höhepunkt der diesjährigen Londoner Saison.
Megan war überglücklich, dass ihre Freundin so einen feinen Menschen wie Tyler heiraten würde, und als sie an diesem herrlichen Sonntagmorgen das verlobte Paar in die Kirche begleitete, wirkte ihre barsche Zurechtweisung wie ein Schlag ins Gesicht. Tyler war völlig vor den Kopf gestoßen. Ihr unhöflicher Ton ihm gegenüber hatte ihn von Anfang an irritiert. Mit der Zeit jedoch wuchs sein Ärger vor allem deshalb, weil er ihr niemals einen Anlass dazu gegeben hatte. Tiffany dagegen wusste sehr wohl, was hinter Megans eigentümlicher Frostigkeit steckte, und war deshalb keineswegs überrascht.
Am Anfang
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