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Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Kuppelbau nichts anderes beherbergen als einen Teil der Gefrieranlage.
12
    »Genug«, sagte Krug. »Es wird kalt. Gehen wir hinunter.«
    Die Aufzüge fuhren nach unten. Schneeflocken begannen um den Turm zu wirbeln; das Isolierfeld über dem Turm lenkte sie ab, schleuderte sie in weitem Bogen beiseite. Es war unmöglich, hier eine vollkommene Wetterkontrolle durchzuführen wegen der Notwendigkeit, die Tundra ständig gefroren zu halten. Es war gut, dachte Krug, daß die Androiden sich nichts daraus machten, im Schnee zu arbeiten.
    Manuel sagte: »Wir möchten uns verabschieden, Vater. Wir haben uns im Psychoschaltinstitut von New Orleans angemeldet für eine Woche Egotausch.«
    Krugs Blick verfinsterte sich. »Ich wünschte, du würdest aufhören mit diesem Unsinn.«
    »Was ist Schlimmes dabei, Vater, mit Freunden die Identität zu tauschen? Eine Woche lang in der Seele eines anderen zu verbringen? Es ist harmlos, es ist befreiend. Es ist wunderbar. Auch du solltest es einmal versuchen.«
    Krug zog verächtlich die Mundwinkel herab.
    »Ich meine es ernst«, sagte Manuel. »Es würde dich ein wenig von dir selbst distanzieren. Deine krankhafte Konzentration auf Finanzprobleme, diese überspannte Begeisterung für dein interstellares Hobby, dieser entsetzliche Druck auf dein Nervensystem, das alles kommt von…«
    »Geht nur«, sagte Krug. »Geht. Tauscht eure Seelen, soviel ihr wollt. Ich habe zu tun.«
    »Willst du es nicht doch einmal versuchen, Vater?«
    »Es ist sehr angenehm«, sagte Nick Ssu-ma. Er war Krug am sympathischsten von den Freunden seines Sohnes, ein liebenswürdiger junger Chinese mit kurzgeschnittenem blonden Haar und einem freundlichen Lächeln. »Es eröffnet Ihnen neue Einsichten in alle menschlichen Beziehungen.«
    »Versuchen Sie es wenigstens einmal«, sagte Jed Guilbert, »und ich verspreche Ihnen, Sie werden nie…«
    »Eher gehe ich zum Schwimmen auf den Jupiter«, sagte Krug.
    »Geht, geht. Seid glücklich. Tauscht eure Egos, soviel ihr wollt. Ich nicht.«
    »Ich sehe dich nächste Woche, Vater.«
    Manuel und seine Freunde eilten zu den Transmatkabinen. Krug stieß seine Handknöchel gegeneinander und schaute den jungen Männern nach. Er empfand etwas, was einem Neidgefühl nahekam. Er hatte nie Zeit gehabt für eine dieser Vergnügungen. Immer hatte er zu tun gehabt, einen Vertrag abzuschließen, eine entscheidende Reihe von Laboratoriumtests zu überwachen, ein Treffen mit den Bankiers, eine Krisis auf dem Marsmarkt. Während andere sich in Selbstvergessenheit fallenließen und für wochenlange Egotrips ihre Seelen tauschten, hatte er einen Riesenkonzern aufgebaut, und nun war es zu spät für ihn, sich den Freuden der Welt hinzugeben. ›Na und?‹ sagte er sich mit Ingrimm. ›Dann bin ich eben ein Mensch des neunzehnten Jahrhunderts in einer Welt des dreiundzwanzigsten! Dann werde ich eben ohne Psychoschaltinstitut auskommen. Außerdem, wem sollte ich Einlaß gewähren in mein Innerstes? Mit welchem Freund sollte ich die Seele tauschen? Mit wem, mit wem?‹ Er gestand sich ein, daß es kaum jemand gab. Vielleicht Manuel? Es mochte nützlich sein, mit Manuel einen Egotausch vorzunehmen. Sie würden einander vielleicht besser verstehen. Einige ihrer extremen Standpunkte aufgeben, aufeinander zugehen zu einer Begegnung in der Mitte. Manuel hatte nicht ganz Unrecht mit seiner Lebensweise. Ich bin nicht vollkommen, dachte Krug, und vielleicht sollte man wirklich einmal die Dinge mit den Augen eines anderen sehen. Doch plötzlich schreckte er vor dem Gedanken zurück. Ein Egotausch zwischen Vater und Sohn erschien ihm fast wie ein Inzest. Es gab Dinge, die er von Manuel nicht wissen wollte. Und es gab gewiß Dinge, die Manuel nicht von ihm wissen wollte. Mit ihm die Identität zu tauschen, selbst für einen kurzen Augenblick, kam nicht in Frage. Doch wie war es mit Thor Watchman als Tauschpartner? Der Alpha war bewundernswert gesund und begabt, vertrauenswürdig. In vielfacher Hinsicht stand Krug ihm näher als alle anderen, die er kannte; er konnte sich nicht erinnern, je ein Geheimnis vor Watchman gehabt zu haben. Und wenn er beabsichtigte, Egotauscherfahrungen zu sammeln, wäre es vielleicht sehr nützlich und lehrreich…
    Entsetzt unterdrückte Krug den Gedanken. Die Identität mit einem Androiden zu tauschen? Wie konnte er nur auf solche Gedanken kommen?
    Schnell sagte er zu Niccolò Vargas: »Haben Sie etwas Zeit, oder müssen Sie sofort zurück ins Observatorium?«
    »Es hat keine

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