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Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Krug.
    Der Gottesdienst ist zu Ende.
    Einige der Androiden gehen hinaus. Andere bleiben, offenbar zu erschöpft durch das Erlebnis, ruhen sich aus, um später zu gehen. Ich fühle mich ebenso, und ich habe kaum teilgenommen. Eine inbrünstige religiöse Gemeinde. Religion soll tot sein, sagt man, ein seltsamer alter Brauch, fast vergessen, aber nicht bei diesen Leuten. Sie glauben an höhere Mächte und die Wirksamkeit des Gebetes. Sie glauben, Krug hört zu. Hört Krug wirklich zu? Hat Krug je zugehört? Doch sie glauben es. Wenn er sie jetzt nicht erhört, sagen sie, wird er sie später erhören. Und wird sie aus ihrer Sklaverei befreien. Opium für die Massen? Aber auch die Alphas glauben daran.
    Du, Lilith, sage ich, wie lange besteht diese Religion schon?
    Schon bevor ich geboren wurde.
    Wer hat sie erfunden?
    Sie hat ihren Ursprung hier in Stockholm, in einer Gruppe von Alphas. Sie verbreitete sich schnell. Jetzt gibt es Gläubige in der ganzen Welt.
    Glauben alle Androiden?
    Nicht alle. Die AGP-Leute glauben nicht. Wir bitten um Wunder und göttliche Gnade; sie sind für unmittelbare politische Agitation. Aber wir sind zahlreicher als sie. Die meisten von uns glauben. Mehr als die Hälfte. Fast jeder Gamma, die meisten Betas und viele Alphas.
    Und ihr glaubt allen Ernstes, wenn ihr fortfahrt, Krug zu bitten, euch zu befreien, daß er es tun wird?
    Lilith lächelt. Auf was sonst können wir hoffen?
    Habt ihr euch je direkt an Krug gewandt?
    Nie. Siehst du, wir unterscheiden zwischen Krug, dem Menschen, und Krug, dem Schöpfer, und wir glauben… Sie schüttelt den Kopf. Sprechen wir nicht hier darüber. Jemand könnte uns hören.
    Wir wenden uns zum Gehen. Auf halbem Weg zur Tür bleibt sie stehen, geht zurück, nimmt etwas aus einer Schachtel am Fuße des Altars. Sie reicht es mir. Es ist ein Datenwürfel. Sie schaltet ihn ein, und ich lese die Worte, die erscheinen:
    Im Anfang war Krug, und er sprach, es seien Retorten, und da waren Retorten.
    Und Krug betrachtete die Retorten und fand sie gut.
    Und Krug sprach, es seien Nukleotiden in den Retorten. Und die Nukleotiden wurden in die Retorten gegossen, und Krug mischte sie, bis sie sich miteinander verbanden.
    Und die Nukleotiden bildeten die großen Moleküle, und Krug sprach, es werde der Vater und werde die Mutter in den Retorten und es teilen sich die Zellen und Leben entstehe in den Retorten.
    Und es ward Leben, denn da war Reproduktion.
    Und Krug überwachte die Reproduktion und berührte die Flüssigkeiten mit seinen eigenen Händen und gab ihnen Form und Wesen.
    Es kommen Männer aus den Retorten, sprach Krug, und es kommen Frauen aus ihnen, und sie sollen leben und unter uns umhergehen und stark sein und nützlich, und wir werden sie Androiden nennen.
    Ich drehe den Würfel zwischen den Fingern. Worte von gleicher Art erscheinen, immer mehr. Eine Androidenbibel. Nun, warum nicht?
    Faszinierend, sage ich zu Lilith. Wann wurde das geschrieben?
    Man begann vor Jahren damit. Sie fügen jetzt immer neue Kapitel hinzu. Über die Natur Krugs und das Verhältnis des Menschen zu Krug.
    Das Verhältnis des Menschen zu Krug. Wunderbar.
    Sie sagt, behalte den Würfel, wenn du ihn interessant findest. Er gehört dir.
    Wir verlassen die Kapelle. Ich verstecke die Androidenbibel unter meinen Kleidern.
    In Liliths Wohnung zurückgekehrt, sagt sie, jetzt kennst du unser großes Geheimnis, unsere große Hoffnung.
    Was erwartet ihr eigentlich konkret, das mein Vater für euch tun soll?
    Eines Tages, sagt sie, wird er vor die ganze Welt treten und seine Gedanken über uns enthüllen. Er wird sagen, diese Androiden sind ungerecht behandelt worden, und nun ist es Zeit, das zu ändern. Verleihen wir ihnen das Bürgerrecht. Verleihen wir ihnen volle Rechte. Hören wir auf, sie als Eigentum zu behandeln, als Dinge zu betrachten. Und weil er Krug ist, weil er derjenige ist, der der Welt die Androiden geschenkt hat, wird die ganze Welt auf ihn hören. Er wird alle umstimmen. Und unsere Lage wird sich ändern.
    Glaubst du wirklich, daß das geschehen wird?
    Ich hoffe es und bete darum, sagt sie schlicht.
    Wann wird es geschehen? Bald?
    Es ist nicht meine Sache, darüber nachzusinnen. Es ist Krugs Wille. Vielleicht in fünf Jahren… in zwanzig Jahren… in vierzig Jahren… vielleicht nächsten Monat. Lies den Würfel, den ich dir gegeben habe. Er erklärt dir, warum wir glauben, daß Krug uns nur prüft, sehen will, wie tapfer wir sind. Eines Tages wird die Prüfung vorüber

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