Kinder der Retorte
möchten einen Termin für ihn offen halten.«
Krug hatte es vergessen. Das überraschte ihn. Es überraschte ihn nicht, daß Manuel sich verspätet hatte. Er und Spaulding stellten sein Morgenprogramm mit einiger Schwierigkeit so um, daß die Stunde von 11.15 Uhr bis 12.15 Uhr freiblieb für die Besprechung mit Manuel.
Um 11.23 Uhr traf Manuel ein.
Er sah abgespannt und etwas verkrampft aus, und er war seltsam gekleidet, obwohl man von Manuel in dieser Hinsicht einiges gewohnt war. Anstatt seines üblichen losen Gewandes trug er die engen Hosen und das Netzhemd eines Alphas. Sein langes Haar war straff nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengeknotet. Er sah damit nicht gerade vorteilhaft aus; durch die Maschen seines Netzhemdes sah man die Behaarung seiner Brust, das einzige physische Merkmal, daß er von seinem Vater geerbt hatte.
»Ist es das, was die modischen jungen Männer jetzt tragen?« fragte Krug. »Alpha-Kleider?«
»Eine Laune, Vater. Kein Stil – noch nicht.« Manuel lächelte nervös. »Doch wenn man mich so sieht, nehme ich an, könnte es Mode machen.«
»Mir gefällt es nicht. Was hat es für einen Sinn, wie ein Android herumzulaufen?«
»Ich finde, es ist attraktiv.«
»Das finde ich nicht. Wie denkt Clarissa darüber?«
»Vater, ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir über meine Kleidung zu sprechen.«
»Gut. Also, was willst du?«
Manuel legte einen Datenwürfel auf Krugs Schreibtisch. »Dieses Ding gelangte vor kurzem In meinen Besitz, als ich Stockholm besuchte. Würdest du es dir bitte anschauen?«
Krug nahm den Würfel, drehte ihn mehrere Male um und schaltete ihn ein. Er las:
Und Krug überwachte die Reproduktion und berührte die Flüssigkeiten mit Seinen eigenen Händen und gab ihnen Form und Wesen.
Es werden Männer aus den Retorten kommen, sagte Krug, und es werden Frauen kommen aus den Retorten und laßt sie leben und unter uns wandeln und stark und nützlich sein, und wir werden sie Androiden nennen.
Und so geschah es.
Und da waren Androiden, denn Krug hatte sie nach seinem eigenen Bild geschaffen und sie wandelten auf der Erde und dienten der Menschheit.
Und dafür sei Krug gepriesen.
Krug runzelte die Stirn. »Was, zum Teufel, ist das? Eine Art Roman? Ein Gedicht?«
»Eine Bibel, Vater«, sagte Manuel lakonisch.
»Was für eine verrückte Religion?«
»Die Androidenreligion«, nickte Manuel ernst. »Dieser Würfel wurde mir in einer Androidenkapelle im Betaviertel von Stockholm gegeben. Als Alpha verkleidet wohnte ich dort einem Gottesdienst bei. Die Androiden haben eine große religiöse Gemeinde gebildet, für die du, Vater, die Gottheit darstellst. Über dem Altar hängt ein lebensgroßes Hologramm von dir.« Manuel machte ein Zeichen. »Das ist das Zeichen für Krug-sei-gepriesen. Und dies« – er machte ein anderes Zeichen – »ist das Zeichen für Krug-erhalte-uns. Sie beten dich an, Vater.«
»Ein Witz! Der Einfall von Geisteskranken.«
»Eine weltweite Bewegung.«
»Mit wieviel Mitgliedern?«
»Der überwiegende Teil der Androidenbevölkerung.«
Finster fragte Krug: »Bist du dessen sicher?«
»Es gibt überall Kapellen. Eine steht auf dem Turmbaugelände verborgen unter den Werkgebäuden. Die Bewegung ist mindestens zehn Jahre alt – eine Untergrundreligion, die vor der Menschheit geheimgehalten wird und die Androiden in ihren Bann schlägt. Und zwar in einem Ausmaß, an das zu glauben mir nicht leichtfiel. Und das ist ihre Heilige Schrift.«
Krug zuckte die Achseln. »Na und? Das Ganze ist zwar amüsant und sicher auch interessant, aber was soll es bedeuten? Sie sind intelligente Leute. Sie haben ihre eigene politische Partei, ihre eigene Sprache, ihre eigenen kleinen Gebräuche – und auch ihre eigene Religion. Was geht das mich an?«
»Berührt es dich nicht seltsam, Vater, zu wissen, daß du ein Gott geworden bist?«
»Es macht mich krank, wenn du die Wahrheit wissen willst. Ich ein Gott? Sie haben den falschen Mann gewählt.«
»Aber sie beten dich an. Sie haben eine ganze Theologie um dich aufgebaut. Lies den Würfel. Du wirst fasziniert sein, Vater, zu sehen, welch eine heilige Figur du für sie bist. Du bist Christus und Moses und Buddha und Jehova zugleich. Krug, der Schöpfer, Krug, der Retter, Krug, der Erlöser.«
Ein Schauer des Unbehagens überlief Krug. Er fand das Ganze widerlich. Knieten sie wirklich vor seinem Bild nieder In diesen Kapellen? Murmelten sie Gebete zu ihm?
Er sagte: »Woher hast du diesen
Weitere Kostenlose Bücher