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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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    1 .
    W umm, bum. Hämmernd wie ein Herzschlag. Wie Trommeln und Pauken. Was ist das bloß für ein Krach an der Tür? Wieso haben sie mich aus dem Schlaf gerissen? Was ist denn nur los?
    Es ist Februar und stockduster. Noch nicht einmal die Vögel vorm Fenster zwitschern. Mir ist kalt. Am liebsten möchte ich mich wieder in meine warme Federdecke einmummeln, meinen Traum weiterträumen.
    Aber jemand lärmt vom Hausflur her, immer lauter. In einem fort wummert es gegen unsere Wohnungstür. Ich höre, wie Mama aufgeregt durch die Wohnstube rennt.
    »Machen Sie sofort auf!«, brüllt draußen eine Männerstimme. »Sonst treten wir die Tür ein!«
    Auf einen Schlag bin ich hellwach. Auch mein älterer Bruder Mirko ist in seinem Bett an der Wand gegenüber hochgeschreckt. Er starrt mich mit großen Augen an, und ähnlich ratlos schaue ich wohl zurück. Mama reißt die Tür zu unserem Zimmer auf, ganz anders als sonst, wenn sie erst durch einen schmalen Spalt das sanfte Licht der Wohnstubenlampe schimmern lässt, damit wir uns an den neuen Tag gewöhnen können. Noch halb im Traum dürfen wir üblicherweise im nachtwarmen Bett abwarten, bis der kleine Bollerofen nebenan die klamme Kälte im Zimmer verjagt hat.
    Doch heute dreht Mama gnadenlos den Lichtschalter herum, was unser Schlafzimmer in geradezu gleißendes Licht taucht, und herrscht uns an, uns ganz schnell anzuziehen. »Gleich«, ruft sie dann in Richtung Tür. »Ich muss mich nur noch fertig machen!« Dabei rupft sie hektisch Anziehsachen für mich aus unserem Resopalschrank, dessen Türen leise jammern, wenn man sie öffnet. Während sie mir die Klamotten auf den Stuhl vor meinem Bett legt, drängt sie mich noch mal, ja nicht zu bummeln. Sie weiß doch, dass ich mir in der Früh gern Zeit lasse, nie treibt sie mich morgens an. Und nun liegt da ausgerechnet die grüne Strickhose, die ich so sehr hasse und die mich an den Beinen pikst!
    Doch Mama ist heute unerbittlich, ich erkenne sie kaum wieder. Sie ist so anders als sonst. Das macht mir Angst, aber viel mehr noch tut es der Lärm an der Tür.
    »Was machen die da?«, murmele ich vor mich hin, weil Fragen vielleicht die Furcht verscheuchen.
    Mein Bruder fängt meinen eingeschüchterten Blick auf und flüstert mir zu: »Keine Bange. Ich bin doch bei dir und pass auf dich auf!«
    Ich sehe Mirko dankbar an und lächle zum ersten Mal an diesem Morgen. Mein großer Bruder hat mich immer behütet, auf ihn ist sicher auch jetzt Verlass. Mit seiner Hilfe quäle ich mich in die dicke Strumpfhose. Aber nun auch noch dieses kratzende grüne Ungetüm – nein, da streike ich. »Ich zieh das nicht an«, jammere ich.
    Kein guter Moment für eine Verweigerung. Es hämmert noch lauter an die Tür, die Stimmen klingen wütender. Klatsch, Mamas Hand knallt so fest gegen meine Wange, dass die Haut glüht. Aua! Das hat gesessen. Und tut richtig weh. Noch nie hat meine Mutter mir eine Ohrfeige verpasst. So kenne ich sie nicht.
    »Mach schon«, schreit sie ungeduldig, spürbar nervös, »beeil dich!«
    Bin ich schuld, dass Mama heute so anders ist? Eingeschüchtert ziehe ich die Strickhose hoch und fange an zu heulen, weil meine Backe so weh tut und Mama mir so fremd vorkommt. Sie sieht mein Gesicht, und schon bereut sie, was sie getan hat. Hastig kommt sie auf mich zu und drückt mich an sich. Ach, halt mich doch, denke ich, fester, für immer. Lass mich nie wieder los. Ich will nicht, dass du da rausgehst! Diese Störenfriede vor der Tür, die sind böse, die machen alles kaputt, das spüre ich.
    Die Männer tragen lange, dunkle Wintermäntel. Fünf oder sechs mögen es sein, die sich vor meiner Mutter aufbauen, als sie endlich vorsichtig die Tür öffnet. Neben ihnen steht eine kleine, eher zierliche Frau, die ein Amtsschreiben in der Hand hält. Sie erklärt Mama etwas, das ich nicht verstehe. Aber so viel bekomme ich mit, dass wir irgendwie mitkommen sollen, und zwar sofort.
    Der Abrisskalender an unserer Blümchentapete zeigt seit gestern immer noch die Sechs, darunter stehen Februar und das Jahr: 1972 . An diesem Morgen ist für meine Familie die Zeit stehengeblieben. Mirkos bevorstehenden siebten Geburtstag werden wir hier nicht mehr feiern, auch nicht meinen fünften im Sommer und schon gar nicht Mamas fünfundzwanzigsten. Nie mehr wird sie strahlend feststellen, wie groß wir doch schon geworden sind.
    Sobald die Männer meine Mutter zu fassen bekommen, zerren sie sie grob nach draußen und drehen sie an die Wand,

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