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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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einfach. Ich schreibe ein Lied. Ich habe zwar erst den Anfang, aber ich fühle, daß es gut wird. Es ist ein Lied über dich.“
    „Über mich?“
    Er war stolz auf sich. „Ja, du wirst berühmt werden. Jeder wird es singen, und alle werden dich kennen.“
    „Das tun sie bereits“, sagte Dorrel. „Glaub mir.“
    „Oh, aber ich meine für alle Zeiten. Solange dieses Lied gesungen wird, wird man sich an dich erinnern – an das Mädchen, das die Welt veränderte, weil es so gern fliegen wollte.“
    Vielleicht hat er recht, dachte Maris später, als sie ihre Flügel entfaltete und gemeinsam mit Dorrel und Garth in den Wind sprang.
    Aber die Welt schien nicht halb so wichtig oder so wirklich wie der Wind in ihrem Haar. Das vertraute Spannen der Muskeln und das gehebte Fliegen waren nicht für sie verloren. Sie hatte ihre Flügel wieder, und sie hatte den Himmel. Sie war wieder in ihrem Element. Sie war glücklich.

Teil Zwei
 
Einflügler
     
     
    Das Seltsame am Sterben war die Leichtigkeit, die Ruhe, mit der es geschah und die Schönheit, die von ihm ausging.
    Maris war ohne Vorwarnung in die Windstille geraten. Noch vor wenigen Augenblicken hatte der Sturm um sie gewütet. Regen war auf sie herabgeprasselt, hatte ihr in den Augen weh getan, war in Bächen an ihren Wangen heruntergelaufen und hatte auf die Metallflügel getrommelt. Die Windturbulenzen trieben sie umher, achtlos wurde sie von einer Seite auf die andere geworfen, wie ein Kind, das zum ersten Mal flog. Ihre Arme schmerzten von dem verbissenen Kampf. Dunkle Wolken verdeckten den Horizont, während das Meer unter ihr schäumte und sich eintrübte. Nirgendwo war Land in Sicht. Maris tat alles weh. Sie fluchte und flog weiter.
    Dann wurde sie von Frieden, Ruhe und Tod eingehüllt.
    Die Winde ließen nach, und es hörte auf zu regnen. Die Wogen der See glätteten sich. Die Wolken schienen sich zurückzuziehen, bis sie unendlich weit entfernt waren. Stille senkte sich herab, gespenstische Ruhe, als ob die Zeit stillstünde, um neuen Atem zu schöpfen.
    In der unbewegten Luft begann Maris, trotz weit ausgespannter, leuchtender Flügel, langsam an Höhe zu Verlieren.
    Es war ein langsamer, allmählicher Abstieg. Wunderschön, anmutig und unvermeidlich. Ohne eine Brise, die sie vorantrieb oder anhob, konnte sie nur vorwärtsgleiten und an Höhe verlieren. Es war kein Sturz. Das langsame Absinken schien vielmehr eine Ewigkeit zu dauern. Weit vor sich konnte sie schon die Stelle ausmachen, wo sie auf das Wasser aufschlagen würde.
    In ihr lehnte sich der Fliegerinstinkt kurz auf und befahl ihr zu kämpfen. Sie versuchte es mit verschiedenen Schräglagen und Zickzackkursen, suchte den Himmel vergebens nach Aufwinden und Luftwirbeln ab. Ihre Flügel, mit einer Spannweite von zwanzig Fuß, hoben und senkten sich. Plötzlich fiel ein matter Sonnenstrahl auf das silberne Metall. Aber ihr Abstieg hielt an.
    Dann war sie so ruhig wie die Luft. Ihre innere Unruhe hatte sich gelegt, wie die Wogen des Meeres. Sie spürte den tiefen Frieden der Kapitulation, die Erleichterung, daß die endlose Schlacht gegen die Winde vorüber war. Die Winde hatten sich ihr gegenüber immer gnädig gezeigt und sie niemals völlig beherrscht. Sie waren unbändig, und sie war schwach. Es war dumm von ihr, anzunehmen, daß es jemals umgekehrt sein könnte. Sie sah sich nach Geisterfliegern um, von denen behauptet wurde, man sähe sie bei Windstille.
    Ihre Stiefelspitzen streiften die Wasseroberfläche. Dann zersplitterte ihr Körper den grauen, glatten Spiegel des Ozeans. Der Einschlag ins kalte Wasser schien ihren Körper wie eine Flamme zu versengen. Sie sank …
    … und erwachte, naß und nach Luft ringend.
    Stille hämmerte in ihren Ohren. Die kühle Luft trocknete den Schweiß auf ihrem Körper. Desorientiert und blind richtete sie sich auf. Am anderen Ende des Zimmers sah sie einen schmalen Streifen niedergebrannter, rotglühender Kohle. Aber das Feuer brannte an der falschen Seite des Bettes, sie konnte unmöglich auf Eyrie sein. Und es war weiter weg als der Kamin in ihrem Haus. Die Luft roch feucht und nach moderiger See.
    Der Geruch ließ nach. Erleichtert stellte sie fest, daß sie in der Akademie, in Holzflügel war. Plötzlich schienen ihr die Schatten irdisch und vertraut. Die Anspannung wich aus ihrem Körper. Nun war sie hellwach. Sie zog sich ein grob gewebtes Hemd über den Kopf und ging vorsichtig durch den dunklen Raum auf den Kamin zu. Dort zündöte sie eine

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