Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Prolog
Longstaple, Devonshire
1812
Irgendetwas ist anders , dachte Emma, kaum dass sie ihr blitzsauberes, ordentliches Schlafzimmer betreten hatte. Was ist es nur …?
Sie betrachtete das sorgfältig gemachte Bett, das Nachttischchen, die Kleidertruhe … Da . Die Hand auf die Brust gepresst, trat sie einen Schritt vor.
In der hübschen Teetasse, die sie nie benutzte, sondern nur zur Dekoration aufgestellt hatte, steckte ein Sträußchen roséfarbener Rosen. Die Blumen stammten höchstwahrscheinlich aus dem Garten ihrer Tante, die neben ihnen wohnte, aber sie waren für sie gepflückt worden, von ihm, und das allein zählte.
Ihr war sofort klar, von wem die Blumen stammten: von Phillip Weston, ihrem ganz persönlichen Liebling unter den zahlreichen Schülern ihres Vaters und wahrscheinlich dem Einzigen, der wusste, dass heute ihr Geburtstag war – ihr sechzehnter Geburtstag. Phillip war so unglaublich viel netter als sein älterer Bruder Henry, der schon ein paar Jahre länger bei ihnen war.
Emma nahm die Tasse vorsichtig in die Hand, neigte den Kopf über die Blumen und atmete den süßen Duft der Rosen und des frischen Grüns ein. Mmm … Bewundernd betrachtete sie die roséfarbenen Blüten und die grünen Blätter, die das farbenfrohe Dekor der Tasse so hübsch zur Geltung brachten.
Dabei dachte sie an den Tag vor drei Jahren, an dem ihre Mutter ihr diese Tasse geschenkt hatte. Und am selben Tag hätte Henry Weston sie beinahe zerbrochen …
Emma löste das Geschenkband, schlug das Papier zurück – sorgfältig darauf bedacht, es nicht zu zerreißen – und öffnete die kleineSchachtel. Beim Anblick des Inhalts leuchtete ihr Gesicht vor Freude auf. Sie hatte recht gehabt mit ihrer Vermutung; war ihr doch kürzlich aufgefallen, dass die teure Teetasse nicht mehr auf ihrem Platz im Schrank mit dem kostbaren Porzellan stand.
»Sie hat deiner Großmutter gehört«, sagte ihre Mutter. »Sie hat sie auf ihrer Hochzeitsreise gekauft, in Italien. Kannst du dir das vorstellen?«
»Ja«, hauchte Emma und bewunderte die goldgeränderte Tasse mit der feinen Zeichnung, der Abbildung einer venezianischen Gondel unter einer Brücke. »Sie ist wunderschön. Sie hat mir schon immer unglaublich gefallen.«
Auf der blassen Wange ihrer Mutter erschien ein seltenes Grübchen. »Das weiß ich.«
Emma lächelte. »Danke, Mama.«
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Liebling.«
Emma stellte die Tasse mit der Untertasse wieder in die kleine Schachtel, um sie auf ihr Zimmer mitzunehmen. Sie war gerade im Begriff, das Wohnzimmer zu verlassen, als plötzlich mit voller Wucht eine Holzkugel gegen die Wand hinter ihr prallte und ihr beinahe die Schachtel aus der Hand geschlagen hätte.
Wütend blickte sie auf und sah, wie einer der Schüler ihres Vaters sie frech angrinste.
»Henry Weston!« Emma presste die Schachtel gegen ihre junge Brust, wobei sie schützend die Arme davorhielt. »Pass doch gefälligst auf!«
Seine grünen Augen wanderten von ihrem Gesicht zu ihren Armen; er trat näher. »Was ist das da in der Schachtel?«
»Ein Geschenk.«
»Ach ja, stimmt ja. Du hast ja heute Geburtstag. Wie alt bist du jetzt – zehn?«
Sie hob das Kinn. »Ich bin dreizehn, wie du sehr gut weißt.«
Er streckte die Hand aus, schlug das Papier zurück und spähte in die Schachtel. Seine Augen funkelten. Doch dann kicherte er, um gleich darauf in lautes Lachen auszubrechen.
Sie starrte den selbstgefälligen Sechzehnjährigen an. »Ich weiß gar nicht, was daran so komisch sein soll.«
»Das ist das perfekte Geschenk für dich, Emma Smallwood. Eine einzelne Teetasse. Eine einzelne, einsame Teetasse. Hab ich denn nicht schon immer gesagt, dass du als alte Jungfer enden wirst?«
»Das werde ich nicht«, widersprach sie.
»So wie du den ganzen Tag rumsitzt und liest, wird dein Kopf weiterwachsen wie verrückt, während dein Körper schrumpft – und wer würde so etwas schon heiraten wollen?«
»Jemand sehr viel Besseres als du!«
Er schnaubte. »Wenn dich jemand heiratet, Emma Smallwood, dann werde ich … dann werde ich bei deinem Hochzeitsfrühstück den Schwertertanz aufführen.« Er grinste. »Nackt.«
Sie lachte verächtlich. »Und wer würde so etwas schon sehen wollen? Außerdem – wer sagt, dass ich dich zu meiner Hochzeit einlade?«
Er zwickte sie gönnerhaft ins Kinn. »Blaustrumpf.«
Sie funkelte ihn böse an. »Frechling!«
»Emma Smallwood …« Ihre Mutter erschien in der Tür, mit blitzenden
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