Kinder des Mars
Fischernetzen, die zur Zierde an der Decke und den Wänden hingen. In ihnen hatten sich Plastikimitate von Hummern, Fischen, Austern und anderen Muscheln verfangen.
An manchen Abenden roch es im Club stärker nach Meer als nach Bier. Das lag weniger an der Dekoration als vielmehr daran, dass Boston am Atlantik lag. Heute war solch ein Abend. Der Wind hatte gedreht und trieb eine frische Seebrise in die Stadt.
»Ich finde noch immer, dass hier eine Meerjungfrau fehlt«, sagte Paul.
»Da hast du dem Chef eine fixe Idee in den Kopf gesetzt. Seit du davon gesprochen hast, sucht er nach einer«, antwortete Frank. »Hier ist dein Bier.«
»Danke.« Paul prostete Frank und Jack zu und nahm einen kräftigen Schluck.
»Gibt es denn nicht genug Statuen oder Plastiken von Meerjungfrauen?« erkundigte sich Jack.
»Schon, aber es muss ,die Richtigeʼ« – bei dem Wort malte Frank mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft – »sein. Er meint, dass nicht jede hierher passt.« Gleichgültig zuckte er mit den Schultern und wandte sich anderen Gästen zu.
Jack zog die Augenbrauen hoch. »Aha.«
Paul grinste und wechselte das Thema. »Kommt Ella morgen?« fragte er Jack.
»Ja. Spätnachmittags mit dem Flugzeug aus Los Angeles. Ich will sie vom Flughafen abholen, also darf ich heute nicht zu sehr versumpfen. Es sind vier Stunden bis nach New York, das heißt ich kann nicht ewig schlafen. Und mit Restalkohol Auto fahren ist keine gute Idee.«
Morgen fuhren sie alle zu Thanksgiving nach Hause und würden sich bis Montag nicht sehen. Das war nicht weiter schlimm, nur etwas ungewohnt. Jack und Paul konnten durchaus ohne einander atmen, aber sie trafen sich jeden Tag an der Uni und oft auch am Wochenende. Im College hatten sie ein Zimmer geteilt. So hatten sie sich kennengelernt.
Beide galten bald als Streber und schrieben gemeinsam neue Programme, erfanden Software oder knackten Codes, wobei sie stets zu schlau waren, um Spuren zu hinterlassen. Sie waren die besten Hacker des MIT, nur wusste das außer ihnen kaum jemand. In andere Computer eindringen allein war nicht das Ziel, sie übten sich auch in der hohen Kunst, dabei unentdeckt zu bleiben. Es war ein Sport nur für zwei, ein privater Wettkampf, wer schneller und besser war. Mal gewann der eine, mal der andere. Im Moment lagen sie ziemlich gleichauf.
Wenn sie nicht für ihre geistige Fitness sorgten, beschäftigten sie sich mit körperlichem Sport. Jack joggte fast täglich oder trainierte mit Gewichten im Studio. Paul bevorzugte Sport auf eine weniger anstrengende Weise: Als Zuschauer im Stadion oder zu Hause auf der Couch vor dem Fernseher. Um Jacks lästigen Versuchen, ihn zu mehr Bewegung zu animieren, aus dem Weg zu gehen, hatte Paul Jack mit Luke bekannt gemacht.
Luke war ein ernährungsbewusster Gesundheitsfanatiker, der die Strecke von seinem Wohnheim der Boston University auf der anderen Seite des Charles River zum MIT in zehn Minuten zurücklegte. Er rannte über die Brücke der Massachusetts Avenue und hatte früher Paul aus dem Bett geworfen, während Jack startbereit auf der Stelle trat. Obwohl Jack auch gerne lang schlief, hatte er sich für die Joggingrunden Lukes Hang zum Frühaufstehen angepasst.
Seit sie das College beendet hatten und nun an der Uni für ihren Master studierten, hatten Jack und Paul getrennte Wohnungen. Jetzt konnte Paul ausschlafen, wenn die beiden Sportskanonen loslegten.
Jack und Paul wohnten noch immer in unmittelbarer Nähe des MIT Campus und damit des Blue Oyster, Luke weiterhin auf der anderen Seite des Flusses. Wenn Luke frei hatte, kam er über die Brücke, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Nach der Arbeit oder wenn er Bereitschaft hatte, hatte es Luke vom Krankenhaus aus näher zum Blue Oyster als von seinem Appartement. Natürlich ging er auch dann zu Fuß oder nahm das Rad.
»Ich kann trinken so viel ich will«, sagte Paul unbekümmert. »Wir haben es ja nicht weit bis nach Hause. Außerdem fährt Luke, ist doch klar.«
Pauls und Lukes Familien wohnten in Lynn, einer kleinen Stadt nördlich von Boston. Bis dorthin war es eine halbe Stunde mit dem Auto, Pauls Auto natürlich, denn Luke hatte keines. Luke war sehr umweltfreundlich und daran gewöhnt, alles zu Fuß, mit dem Rad, Bus oder Bahn zu erledigen. Falls nötig nahm er Pauls Auto, was für gewöhnlich nur geschah, wenn sie gemeinsam ihre Eltern besuchten und Paul zu müde zum Fahren war.
Bei diesen Gelegenheiten war Paul immer zu müde. Er nutzte die Abende vor
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