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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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bleiben. Niemand wird sie wollen. Sie hat AIDS. Verstehen Sie mich. Sie hat niemand.«
    Vothy kommt Augenblicke später ins Zimmer, trocknet die Tränen ihrer Mutter, reicht ihr ein Glas Wasser und springt wieder auf, faltet ihre Hände vor der Brust und neigt den Oberkörper im traditionellen kambodschanischen Gruß nach vorne.
    »Sind Sie Amerikaner?«, fragt sie.
    Im Gegensatz zu ihrer Mutter hat sie ein Strahlen in den Augen. Tatsächlich ist Vothy mit nur fünf Jahren das einzige wirklich Lebendige an diesem Ort, wo man nicht nur darauf wartet, dass die Kranken baldmöglichst sterben, sondern auch, dass sie dabei niemandem lästig fallen. An den öden Nachmittagen, wenn sich überall Verzweiflung breitmacht und die Patienten scheinbar begriffen haben, dass sie von allen verlassen sind und genauso fortgehen werden, wie sie gekommen sind, mit völlig leeren Händen, zieht Vothy ihr rosafarbenes Kleidchen an und tänzelt durch die Zimmer, bringt den Patienten Essen und erzählt ihnen allen, dass auch sie selbst das hat, was sie AIDS nennen, und es keinen Grund zur Sorge gibt, weil sie jetzt im Krankenhaus sind und die Ärzte sie alle wieder gesund machen werden. Und wenn ein Zimmer frei wird, erzählt Vothy, dass dieser oder jener Patient genesen und nach Hause gegangen ist. Auch wegen der Art, wie sie diese Lüge erzählt, die ihr die Mutter so oft eingeschärft hat, wird sie von den anderen so geliebt.
    Niemand kann es mit Gewissheit sagen, aber alle haben den Verdacht, dass Vothy weiß, dass es für sie keine Hoffnung gibt. Ausgeschlossen, dass sie nicht gesehen hat, wie die Krankenpfleger |23| die Leichen hinaustragen, dass sie nicht den Geruch des Todes, der in kurzen Abständen durch die Flure weht, gerochen hat, dass sie nicht gehört hat, wie die Mütter zusammen mit ihren Kindern weinen. Ja, wahrscheinlich weiß sie es und freut sich trotzdem, wenn sich die anderen nichts anmerken lassen und so tun, als glaubten sie ihre unglaubliche Geschichte vom Überleben in diesem Krankenhaus, wo man zusammen mit dem Aufnahmebogen gleich den Totenschein ausgefertigt bekommt. Vothy ist zur Adoptivtochter eines Ortes geworden, wo die Gewissheit des Todes die Menschen erst dazu bringt, keine Bindungen mehr einzugehen, um sich dann, wenn die letzte Etappe begonnen hat, an jede noch so kleine Zuwendung zu klammern. Die Kranken rufen ihren Namen vom Flur aus, damit sie kommt und ihnen was erzählt, fast raufen sie sich darum, sie noch etwas länger bei sich zu haben. Sie ist ihre einzige Medizin. Kaum zu glauben, dass es ein fünfjähriges Mädchen ist, das im Russenhospital den letzten Lebensmut aufrechterhält.
    Seit sie ins Krankenhaus gekommen sind, hat sich Vothy um ihre Mutter gekümmert. Jeden Tag kocht sie Reis für sie, wäscht ihre Sachen und hilft ihr beim Anziehen. »Mama, du musst essen«, »Mama, wein doch nicht mehr«, »Mama, wenn wir von hier weggehen…«. Ihr Vater, Kong Thai, kommt ab und zu mit einer Tasche voller Mangos zum Abendbrot, wartet, bis Vothy eingeschlafen ist und hat Geschlechtsverkehr mit dem, was von seiner Frau übrig geblieben ist.
    Tun, eine junge Kambodschanerin mit weicher Stimme und langem, glattem Haar, die im Erdgeschoss des Krankenhauses eine Krippe unterhält, flucht jedes Mal auf Khmer, wenn sie Thai auf dem Flur sieht. »Er sieht mittlerweile so übel aus, dass man ihn nicht mehr ins Bordell lässt«, wettert sie und verliert für Augenblicke ihre Sanftmut. »Er kommt, um mit seiner Frau zu schlafen, obwohl er sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Sie lässt ihn klaglos gewähren, denn so hat man uns Frauen in Kambodscha erzogen. Er ist ein kranker Mann.«
    |24| Die Wände von Tuns Hort sind mit den Zeichnungen von Kindern bedeckt, die gestorben sind. Als sie die Stelle annahm, die ihr die kambodschanische Hilfsorganisation Mith Samlanh (Friends) anbot, glaubte Tun, es handle sich um eine Arbeit wie jede andere. Sie ist trotzdem geblieben, obwohl sie alle paar Tage die Stücke ihres zerbrochenen Herzens aufsammeln muss, weil der Tod einer jeden kleinen Seele sie wie der Verlust eines eigenen Kindes trifft und sie in tiefste Traurigkeit stürzt, bis mit der Zeit die unschuldige Güte in sie zurückkehrt, die ihr hilft, in einem Winkel ihres Bewusstseins mit der Gewissheit zu leben, dass die kleinen Patienten des Krankenhauses sterben werden und sie nichts dagegen tun kann.
    Angesichts ihrer Zuneigung für Kambodschas AIDS-Waisen ist es kein Wunder, dass sie besonders an

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