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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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hatte den Gegner völlig im Griff. Liston hatte unter beiden Augen Schwellungen. Binnen einer Viertelstunde war er um zehn Jahre gealtert. Ali hatte damals wie heute seinen Spaß daran. »Jedesmal wenn Liston einen Treffer landete, brüllten die Leute«, flüsterte er. »Die warteten. Aber jetzt können sie es nicht fassen. Die haben gedacht, Liston haut mich ins Publikum. Sehn Sie mich nur!« Clay tanzte und jabbte. In der sechsten Runde war Clay ein Torero, der den Nacken eines Stiers mit Degen spickte.
    Am Ende der sechsten Runde setzte Liston sich auf seinen Hocker und blieb sitzen. Er gab auf. Ali lächelte, als er sah, wie sein jüngeres Ich im Ring umhertanzte und schrie: »I’m the King of the world! King of the world!«, auf die Ringseile stieg und auf die vielen Sportjournalisten zeigte: »Eat your words! Eat your words!« (»Nehmt das zurück! Nehmt das zurück!«) Am folgenden Tag sollte Clay verkünden, daß er nicht nur Weltmeister im Schwergewicht sei, sondern auchMitglied der Nation of Islam. Binnen weniger Wochen sollte er einen neuen Namen haben. Und binnen zweier Jahre sollte er, der schnelle und witzige Junge aus Louisville in Kentucky, sich zu einer der bezwingendsten und aufregendsten Gestalten des Amerika seiner Zeit entwickelt haben. Er wurde so berühmt, daß er auf seinen Reisen um die Welt aus dem Fenster des Flugzeugs blicken – auf Lagos und L. A ., auf Paris und Madras – und sicher sein konnte, daß praktisch jeder dort wußte, wer er war. Er hatte Phantasien, daß er um die ganze Welt trampen würde, im Wissen, daß jeder ihn aufnehmen, ihm zu essen geben, ihn bewundern würde. In jenen frühen Tagen, als er noch Cassius Clay war, wurde er in der Presse und auch anderswo häufig verunglimpft, doch mit der Zeit wurden diese Stimmen immer schwächer. Er verdiente sein Geld damit, auf Leute einzuschlagen, und dennoch wurde er in seinen mittleren Jahren ein Symbol nicht nur des Mutes, sondern auch der Liebe, des Anstands, sogar einer Art Weisheit.
    Eine Putzfrau kam herein, stellte den Staubsauger ab und setzte sich ebenfalls vor den Fernseher. Noch immer schrie Cassius Clay: »König der Welt!«
    »Bin ich nicht schön?«
    »Ach, Ali«, sagte sie, »was hattest du damals für eine große Klappe.«
    »Stimmt«, sagte er lächelnd. »Aber bin ich nicht schön? Da war ich zwanzig … zwei-, dreiundzwanzig? Zweiundzwanzig. Jetzt bin ich vierundfünfzig. Vierundfünfzig.« Ungefähr eine Minute lang sagte er nichts. Dann sagte er: »Die Zeit verfliegt. Fliegt. Fliegt. Sie fliegt davon.«
    Dann hob Ali die Hand, ganz langsam, und seine Finger flatterten wie Vogelflügel.
    »Sie fliegt einfach davon«, sagte er.

ERSTER TEIL

KAPITEL 1
DER MANN VON UNTEN

    Floyd Patterson, 1954.
     
     
    25. SEPTEMBER 1962
    Am Morgen des Kampfs packte der Weltmeister im Schwergewicht den Koffer eines Verlierers. Trotz seiner schnellen Hände, trotz der vielen Stunden, die er im Boxraum zubrachte, war Floyd Patterson in der Geschichte seiner Gewichtsklasse derjenige Titelträger, der am meisten von Zweifeln zerfressen war. Es hat immer Verlierer gegeben, professionelle Gegner, Manipulierte, Unbekannte, die litten wie er, Männer, denen das Siegen höchstens als vorübergehende Flucht vor Niederlage und Demütigung Freude bereitete. Er aber war Weltmeister, der jüngste, der jemals den Titel errungen hatte.
    In den letzten Trainingswochen lag Patterson nachts, halb eingedämmert, auf dem Bett in einem Häuschen in der Landschaft Illinois’ und hörte sich seine Aufnahme von »Music for Lovers Only« an, und wenn er Glück hatte, sah er sich siegen, sah, wie er aus der Kauerstellung emporsprang und Sonny Liston mit seinem berühmten »Känguruhschlag« traf, einem blitzartigen linken Haken, ausgeführt mit solcher Schnellkraft, solchem Willen, daß immer die Möglichkeit bestand, daß Patterson an seinem Ziel vorbeischoß, durch die Seile und auf die Flanellschöße der Pressevertreter in der ersten Reihe. Saß der Schlag, wie schon bei so vielen, dann war Patterson obenauf. Vielleicht wartete er ja eine Weile, bevor er solche Risiken einging, wenigstens ein paar Runden, bis Liston die Müdigkeit spürte, aber springen würde er früh genug. Dann würde er nachsetzen, erbarmungslos, den größeren Mann mit einem rechten Uppercut fällen, einem Cross, noch einem Haken. Patterson durfte nicht auf die Gewalt eines einzigen Schlags setzen, nicht beiListon, dessen Erscheinung eine Eisenstärke erwarten ließ. Er

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