Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
nachladen hörte.
Er verließ das Arbeitszimmer und brüllte dabei meinen Namen. Jetzt war er wütend. Jetzt kümmerte es ihn nicht mehr, ob ich wußte, dass er kam. Ich schob mich aus dem Schrank und klammerte mich an ein Regalbrett, während ich stolpernd auf die Beine kam. Dann ging ich zum Schreibtisch hinüber und zog so leise wie möglich die unterste Schublade auf. Ich nahm Toms Handschellen heraus und steckte sie in die Gesäßtasche. Ich merkte, wie mein Machtgefühl anschwoll. Plötzlich war ich überlebensgroß, weit jenseits jeglicher Furcht und wütend bis zur Weißglut. Als ich aus dem Arbeitszimmer in die Finsternis des Flurs trat, konnte ich sehen, wie er sich vor mir bewegte, sein Körperumriß schwärzer als das dunkelgraue Licht, das ihn umgab. Ich begann zu laufen, immer schneller, ohne dass meine Reeboks irgendein Geräusch auf dem Teppich verursacht hätten. Brant spürte meine Anwesenheit und drehte sich um, als ich mich aufbäumte. Ich versetzte ihm einen heftigen Tritt gegen den Solarplexus und brachte ihn auf der Stelle zu Fall. Ich hörte seine Pistole dumpf an die Wand poltern und gegen das Holz knallen, als sie ihm aus der Hand fiel. Ich trat noch einmal nach ihm und erwischte ihn seitlich am Kopf. Ich kam wieder auf die Beine und stellte mich über ihn. Ich hätte ihm den Schädel zerschmettern können, aber aus Höflichkeit hielt ich mich zurück. Ich zog die Handschellen aus meiner Hosentasche, packte die Finger seiner rechten Hand und bog sie nach hinten, um ihn gefügig zu machen. Ich legte die eine Handschelle um sein rechtes Handgelenk und machte sie zu, während ich grimmig vor mich hin lächelte, als der bewegliche Teil der Fessel einschnappte. Dann stellte ich meinen linken Fuß auf seinen Nacken, zerrte ihm den rechten Arm auf den Rücken und griff nach dem linken. Ich wäre ihm ins Gesicht getreten und hätte seine Nase zermalmt, wenn er auch nur einen Ton von sich gegeben hätte. Er war bewußtlos. Ich schloß beide Handschellen um seine Gelenke. Das alles, ohne zu zögern. Und im Dunkeln. Das Licht in der Küche ging an. Selma erschien in der Tür. Sie trug immer noch ihren Pelzmantel, stand stocksteif da wie ein Soldat und starrte auf den Anblick vor ihr. Brant stöhnte mittlerweile. Blut rann ihm aus der Nase, und er rang um Atem. »Mom, paß auf! Sie ist mit Drogen vollgepumpt«, krächzte er. Selma trat rückwärts in die Küche. Ich wich den Flur entlang vor ihr zurück und sah nach Brants Waffe, als Selma wieder auftauchte, diesmal mit der Smith & Wesson in der rechten Hand. Ich hatte keine Ahnung, wohin Brants Waffe verschwunden war. Dann fiel mir das verräterische Poltern am Ende ihres Flugs durch die Luft wieder ein.
»Stehenbleiben«, sagte sie. Sie hielt die Waffe nun mit beiden Händen und hatte die Arme auf Schulterhöhe steif ausgestreckt. Ich ließ mich nicht beeindrucken, sondern ignorierte ihr kleines Schauspiel. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich von Angel Dust geheiligt und unverwundbar war. Ich war restlos high von dem Zeug, Phenzyklidin, Metamphetamin oder was es auch war - eine verblüffende Mischung aus Erregung und Unsterblichkeit. Die unangenehmen Nebenwirkungen hatten sich inzwischen gelegt, ich war losgelöst von jedem Gefühl und wiegte mich in der Sicherheit, dass ich dieses Mistweib ausschalten würde, genau wie alle anderen, die es auf mich abgesehen hatten.
»Sie werden mir meinen Sohn nicht wegnehmen.«
Wütend war ich außerdem noch auf sie. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen es aufgeben. Sie hätten die Finger davon lassen sollen. Jetzt haben Sie nicht nur Tom verloren, sondern auch noch Brant«, sagte ich im Plauderton.
Ich ließ mich auf alle viere herab und tastete unter dem Stuhl herum. Wo zum Teufel war Brants Waffe?
»Sie sind vollkommen auf dem Holzweg. Ich habe Brant keineswegs verloren«, erwiderte sie. »Und jetzt stehen Sie sofort auf. Tun Sie, was ich sage!«
»Sie können mich mal kreuzweise, Selma. Sehen Sie Brants Waffe? Ich habe sie gegen die Wand poltern hören. Sie muß hier irgendwo sein.«
»Ich warne Sie. Ich zähle bis drei, dann erschieße ich Sie.« »Tun Sie das«, erwiderte ich. Ich kroch ins Eßzimmer, überzeugt davon, dass sich der Revolver irgendwie unter dem Geschirrschrank verklemmt hatte, dem Prunkstück in Seimas kompletter Garnitur edler, strenger Möbel aus dunkel glänzendem Holz. Ich berührte mit einer Schulter den Boden und griff so weit unter den Geschirrschrank, wie mein Arm
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