Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
Frage- und das Ausrufezeichen wirbelnd durch die Luft auf mich zufliegen. »Ich habe ihn auf den neuesten Stand gebracht«, sagte ich.
Meine Stimme kam mit Verzögerung wie in einem hallenden Raum. Wörter in Ballons prallten über meinem Kopf aneinander, und Bilder flogen wie Geschosse in alle Himmelsrichtungen davon.
»Ich habe doch gesagt, Sie sollen warten, bis ich der Sache auf den Grund gehen kann. Was glauben Sie denn, wer all die Gerüchte in die Welt gesetzt hat?«
»Wer?«
Brant packte mich an den Schultern und schüttelte mich leicht. Er wirkte zornig, und seine Finger gruben sich in meine Schultern. »Kinsey, wachen Sie auf und hören Sie zu. Das ist eine ernste Angelegenheit«, sagte er.
»Sie wollen doch nicht behaupten, dass er es war?«
»Aber natürlich war er es. Wer hätte es denn sonst gewesen sein können?
Denken Sie mal nach, Sie Dummerchen.«
»Worüber soll ich nachdenken?« fragte ich verwirrt. Seine plötzliche Bestürzung war ansteckend. Ich verließ mich auf seine Hilfe, doch seine Unruhe trieb die meine in gefährliche Höhen.
Seine Stimme dröhnte weiter, beschwörend und schmeichelnd, einlullend.
»Sie haben Mom erzählt, es sei jemand von den Polizeibehörden. Glauben Sie im Ernst, dass mein Vater auch nur eine einzige schlaflose Nacht verbracht hätte, wenn es jemand anders als Rafer gewesen wäre? Rafer war sein bester Freund. Die beiden hatten schon jahrelang zusammengearbeitet. Dad hielt Rafer für einen der anständigsten Polizisten auf Gottes Erdboden. Und dann findet er heraus, dass er zwei Männer umgebracht hat. Mann o Mann! Er muß in die Hosen gemacht haben, als ihm klarwurde, was los war. Hat er das denn nicht aufgeschrieben? Steht das nicht in seinen Notizen?«
Seine Worte waren wie Wimpel, die über seinem Kopf wehten.
Ich vernahm ein Knattern wie von Fahnen. »Die Notizen sind verschlüsselt.
Ich kann sie nicht lesen.«
»Wo sind sie? Können Sie sie mir zeigen? Vielleicht kann ich den Code knacken.«
»Dort drinnen. Sie glauben also, dass er kurz davor stand, mit der internen Untersuchungskommission zu sprechen.«
»Natürlich! Die Entscheidung ist ihm sicher nicht leichtgefallen, aber obwohl er Rafer gegenüber loyal war, kam sein Dienstherr zuerst. Er muß um einen Ausweg gebetet und gehofft haben, dass er sich irrte.«
Mein Verstand arbeitete blitzschnell, nur mein Mund tat sich schwer, und die Gedanken donnerten mir wie Felsbrocken gegen die Zähne. Ich mußte den Kiefer zusammenkneifen und mit möglichst wenig Lippenbewegung sprechen.
»Ich habe mich mit Barrett unterhalten. Sie war mit Tom im Wagen, bevor er starb«, erklärte ich.
»Worüber haben die beiden gesprochen? Und warum soll er das gemacht haben?«
»Uber irgendwas. Ich weiß es nicht mehr.« »Haben Sie sie denn nicht zum Antworten gedrängt? Sie hatten das Mädchen doch in der Hand«, sagte er. Seine Worte erschienen in der Luft, mit großen Blockbuchstaben geschrieben.
»Hören Sie auf zu schreien!«
»Ich schreie nicht. Was haben Sie denn?«
»Barrett hat Rafer mit keinem Wort erwähnt.« Da fiel es mir wieder ein. Sie hatte gesagt, dass Tom sie nach Rafer gefragt habe.
»Warum sollte sie auch? Sie sind eine Wildfremde für Barrett. Sie vertraut sich Ihnen nicht an. Sie würde Ihnen so etwas nie sagen. Ihr eigener Vater? Du lieber Gott, sie müßte ja verrückt sein«, sagte er mit gellender Stimme.
»Aber warum hat sie mir dann die Notizen gegeben? Müßte sie nicht annehmen, dass sie belastend sind?«
»Barrett hat keine Ahnung. Sie weiß überhaupt nichts.«
»Woher wollen Sie wissen, was er getan hat?«
»Weil ich rechnen kann«, gab er genervt zurück. »Ich zähle zwei und zwei zusammen. Passen Sie auf: Tom hat sich mit Barrett getroffen. Vermutlich wollte er herausfinden, wo sich Rafer aufgehalten hat, als Pinkie ermordet wurde. Das gleiche bei Alfie Toth. Er hat den Zusammenhang erkannt und fürchtete, dass jemand in der Dienststelle Wind von seinem Verdacht bekommen könnte. Haben Sie das nicht behauptet? Jemand hatte ihm ja schon die Angaben über Toth abgeluchst. Was glauben Sie, wer das war? Rafer! «
»Rafer«, wiederholte ich und nickte. Ich begriff, was er meinte. Ich hatte das gleiche vermutet. Toms Freundschaft mit Rafer war so eng, dass Tom es sich doppelt und dreifach überlegt hätte, bevor er ihn bei den Behörden anzeigte und ihre Freundschaft verriet. Ein so enormer Konflikt hätte ihn in extreme Bedrängnis gebracht. Mein Verstand knackte und
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