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Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und Drogen im Übermaß zugesprochen hatte, so sah man es ihr zumindest nicht an. Unruhig steckte ich das Bild wieder ein und drehte am Sendersuchknopf meines Autoradios. Die Morgennachrichten brachten die gewohnte niederschmetternde Mischung aus Mord, politischen Winkelzügen und düsteren Wirtschaftsprognosen. Als der Nachrichtensprecher das Mikrofon abgab, war ich kurz davor, den Löffel abzugeben.
    Um neun Uhr blickte ich auf und konnte feststellen, dass sich an der Gefängnisausfahrt etwas tat. Die Tore waren geöffnet, und ein hinausfahrender Kleinbus vom Sheriff’s Department stand im Leerlauf da, während der Fahrer dem Wachmann an der Ausfahrt seine Papiere zeigte und ein bisschen mit ihm scherzte. Ich stieg aus, der Kleinbus fuhr durchs Tor, beschrieb eine weite Rechtskurve und blieb dann stehen. Im Wagen saßen mehrere Frauen, die nun auf Bewährung in die reale Welt entlassen werden sollten. Sie hielten die Gesichter an die Fenster wie Pflanzen, die sich zum Licht drehen. Zischend glitten die Türen des Kleinbusses auf und zu, und dann fuhr er auch schon wieder davon.
    Reba Lafferty stand in von der Haftanstalt ausgegebenen Turnschuhen, Bluejeans und einem einfachen weißen T-Shirt ohne BH auf dem Asphalt. Alle Insassen müssen bei der Ankunft im Gefängnis ihre Privatkleidung abgeben, doch es wunderte mich, dass ihr Vater ihr nichts geschickt hatte, was sie auf dem Nachhauseweg hätte tragen können. Ich wusste, dass sie die Kluft, in der sie steckte, hatte käuflich erwerben müssen, da die Sachen als Staatseigentum galten. Offenbar hatte sie den Einheitsbüstenhalter der Haftanstalt abgelehnt, der vermutlich so schmeichelhaft war wie ein orthopädisches Bruchband. Zudem dürfen die Häftlinge beim Verlassen des Gefängnisses nichts dabeihaben außer ihren zweihundert Dollar in bar. Verblüfft stellte ich fest, dass sie genauso aussah wie auf dem Foto. Angesichts von Nord Laffertys fortgeschrittenem Alter hatte ich vermutet, dass Reba über fünfzig sein musste. Die junge Frau hier war kaum dreißig.
    Ihre Haare waren kurz geschnitten und wirkten feucht, als hätte sie soeben geduscht. Während ihrer Haftzeit war das Blond herausgewachsen, und die von Natur aus dunklen Strähnen waren stachelig, als hätte sie sie mit Schaumfestiger bearbeitet. Ich hatte erwartet, dass sie füllig wäre, doch sie war so schlank, dass sie schon fast zerbrechlich wirkte. Unter dem billigen Stoff ihres T-Shirts sah man die knochigen Kuhlen ihrer Schlüsselbeine. Ihr Teint war hell, aber leicht fahl, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sie hatte etwas Sinnliches an sich — eine Art Trotz in ihrer Haltung, einen Hauch von Großspurigkeit im Gang.
    Ich hob grüßend die Hand, und sie überquerte die Straße und trat auf mich zu.
    »Kommen Sie mich abholen?«
    »Genau. Ich bin Kinsey Millhone.«
    »Super. Ich bin Reba Lafferty. Nichts wie weg hier«, sagte sie, als wir uns die Hand gaben.
    Wir gingen zum Auto, und für den Lauf der nächsten Stunde blieb das unsere ganze Konversation.
    Mir ist Schweigen lieber als Smalltalk, und so fand ich das fehlende Geplapper nicht unangenehm. Ich entschied mich für einen anderen Rückweg und folgte dem Highway 5 in südlicher Richtung, bis er auf den 101 traf. Ein paar Mal wollte ich ihr schon eine Frage stellen, doch dann sagte ich mir, dass die Dinge, die mich interessiert hätten, mich nichts angingen. Warum haben Sie das Geld unterschlagen? und Wie kam es, dass Sie es vermasselt haben und erwischt worden sind? standen dabei an erster Stelle.
    Schließlich brach Reba das Schweigen. »Hat Pop Ihnen erzählt, warum ich gesessen habe?«
    »Er hat gesagt, dass Sie Geld genommen haben, weiter nichts«, erwiderte ich. Mir fiel auf, dass ich das Wort »unterschlagen« umgangen hatte, als wäre es unhöflich, das Verbrechen beim Namen zu nennen, das sie ins Gefängnis gebracht hatte.
    Sie lehnte den Kopf gegen den Rücksitz. »Er ist ein Schatz. Er hat etwas Besseres verdient als mich.«
    »Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
    »Zweiunddreißig.«
    »Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber Sie sehen aus wie zwölf. Wie alt war Ihr Vater bei Ihrer Geburt?«
    »Sechsundfünfzig. Meine Mutter war einundzwanzig. Ein himmlisches Paar. Völlig schleierhaft, was sie sich dabei gedacht hat. Sie hat mich wie einen Wurf Katzen sitzen lassen und ist abgehauen.«
    »Hält sie Kontakt zu Ihnen?«
    »Nö. Einmal habe ich sie gesehen, da war ich acht. Wir haben einen Tag zusammen verbracht — oder

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