Kishon's schönste Geschichten für Kinder
beschlossen, daß wenigstens niemand anderer das Grauen zu Gesicht bekommen sollte, schleppten das Bild auf den Balkon, drehten es mit der bemalten Seite zur Wand und ließen es stehen.
Dann vergaßen wir das Schreckensgemälde, das von hinten nicht einmal so schlecht aussah. Nach einiger Zeit begann eine Schling-pflanze es zu überwuchern. Manchmal des Nachts konnte es freilich passieren, daß meine Frau jäh aus ihrem Schlummer hochfuhr, kalten Schweiß auf der Stirn:
„Und wenn Onkel Morris zu Besuch kommt?" „Er kommt nicht", murmelte ich verschlafen. „Warum sollte er kommen?" Er kam doch.
Bis ans Ende meiner Tage wird mir dieser Besuch im Gedächtnis bleiben. Wir saßen gerade beim Essen, als die Türglocke läutete. Ich öffnete. Onkel Morris stand draußen. Das Ölgemälde schlummerte auf dem Balkon, mit dem Gesicht zur Wand. „Wie geht es euch?"
fragte der Onkel meiner Frau. Im ersten Schreck wollte ich mich durch die offene Tür davonschleichen und draußen im dichten Nebel verschwinden. Aber da erschien meine Frau. Bleich, aber gefaßt stand sie im Türrahmen und sagte:
„Bitte noch ein paar Sekunden, bis ich Ordnung gemacht habe!
Ephraim, unterhalte dich so lange mit Onkel Morris. " Ich versperrte Onkel Morris unauffällig den Weg ins Nebenzimmer und verwickelte ihn in ein anregendes Gespräch. Von nebenan klangen verdächtige Geräusche, schwere Schritte und ein sonderbares Pumpern, als schleppe jemand eine Leiter hinter sich her. Dann ließ ein fürchterlicher Krach die Wände erzittern, und die Stimme der besten Ehefrau von allen erklang: „Ihr könnt hereinkommen. "
Wir betraten das Nebenzimmer. Meine Frau lag erschöpft auf der Couch und atmete schwer. An der Wand hing, noch leise schaukelnd, Onkelchens Geschenk und verdunkelte das halbe Fenster. Es sah merkwürdig aus, denn es bedeckte noch zwei kleinere Gemälde und die Kuckucksuhr. Zum Glück waren an dieser Stelle Berge, die sich nun deutlich hervorwölbten. Onkel Morris war freudig überrascht. Nur den Platz, an dem wir es aufgehängt hatten, fand er ein wenig dunkel. Wir baten ihn, nächstens nicht unangemeldet zu kommen, damit wir uns auf seinen Besuch vorbereiten könnten.
„Papperlapapp", brummte Onkel Morris leutselig. „Für einen alten Mann wie mich braucht man keine Vorbereitungen. Ein Glas Tee, ein paar belegte Brote, etwas Gebäck - das ist alles... " Seit diesem Zwischenfall lebten wir in ständiger Bereitschaft. Von Zeit zu Zeit hielten wir überraschende Alarmübungen ab: Wir stellten uns schlafend - meine Frau rief plötzlich: „Morris!" Ich sprang mit einem Satz auf den Balkon - unterdessen fegte meine Frau alles von den 103
Wänden des Zimmers herunter - eine Notleiter lag griffbereit unterm Bett - und im Handumdrehen war alles hergerichtet.
Nach einer Woche intensiven Übens bewältigten wir die ganze Arbeit vom Ausruf „Morris" über das aufgehängte Bild bis zur Verwischung sämtlicher Spuren in knapp zweieinhalb Minuten. An einem Samstag kündigte uns Onkel Morris nun seinen Besuch an. Da er erst am Nachmittag kommen wollte, hatten wir genügend Zeit zur Vorbereitung. Wir beschlossen, das Beste aus der Sache herauszuholen. Ich stellte rechts und links in schrägem Winkel zum Gemälde zwei Scheinwerfer auf, die ich mit rotem, grünem und gelbem Cellophanpapier verkleidete. Meine Frau besteckte den Goldrahmen mit erlesenen Blumen und Blüten. Und als wir dann noch das Scheinwerferlicht einschalteten, konnten wir feststellen, daß kein Grauen diesem hier gleichkäme. Pünktlich um fünf Uhr ging die Türglocke. Während meine Frau sich anschickte, Onkel Morris liebevoll zu empfangen, richtete ich den einen Scheinwerfer auf die weidenden Ziegen und den anderen auf die waschenden Mütter. Dann öffnete sich die Tür. Dr. Perlmutter, einer der wichtigsten Männer im Ministerium für Kultur, trat mit seiner Frau ein.
Dr. Perlmutter gehört zur geistigen Elite unseres Landes. Sein Geschmack ist geradezu sprichwörtlich. Seine Frau leitet eine bekannte Bildergalerie. Und diese beiden kamen jetzt herein.
Einige Sekunden blieb alles still. Dann sah es aus, als würde Dr.
Perlmutter in Ohnmacht fallen. Ich sagte fast tonlos: „Was für eine freudige Überraschung, bitte nehmen Sie Platz. " Dr. Perlmutter, immer noch leise schwankend, hatte seine Brille abgenommen und rieb an den Gläsern. Ich dachte mir: Die verdammten Blumen. Wenn wenigstens diese verdammten Blumen nicht auf dem gotisch-barocken Goldrahmen
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