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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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wenn sie uns jetzt so sehen könnte: Lisa-Marie, Amélie, Papa, mich und die Unvermeidlichen – ihre Familie.
    Aus dem Fernseher klingt das Lied, das ich so häufig in Elvis’ Version aus Lillis Zimmer gehört habe: »Love Me Tender«.
    Papa hebt den Kopf, er sieht zu mir herüber. Unsere Blicke treffen sich. Auch er denkt jetzt an Lilli. Als Hedi ihre Hand auf Papas Arm legt, wendet er sich ihr wieder zu. Ich sehe zu den Tanzenden hinüber, die sich jetzt als eng umschlungene Paare im Rhythmus wiegen.
    Tina steht an der improvisierten Bar und verfolgt das Treiben auf der Tanzfläche mit unergründlichem Blick. Ist sie traurig? Ob sie auch jemanden vermisst? Sie scheint meinen Blick zu spüren, schaut mich an und hebt ihr Weinglas. Ich winke ihr zu.
    Vielleicht ist es im Leben genauso: Irgendjemand fehlt immer. Vollkommen ist das Leben nur für die Dauer eines Lidschlags: als Andreas mir nach unserer ersten Nacht das rote Seidenband brachte. Die Nacht, in der ich mein Haus in der Wiesenstraße entdeckte. Als man mir Amélie nach der Geburt auf den Bauch legte. Der Sommertanz mit Simon im Garten. Jedes Mal, wenn Lilli ihr Lächeln lächelte, bei dem ich das Gefühl hatte, das Leben würde in seiner ganzen Schönheit vor mir leuchten wie ein Korb duftender Pfirsiche an einem Sommertag. Auch der Augenblick, den Papa wählte, um mir endlich zu erklären, warum er Mamas Garten zerstören musste. Und zuletzt der Moment im Badezimmer vor vier Tagen, vor einer Ewigkeit, als Andreas und ich uns zum ersten Mal wieder küssten … Diese vollkommenen Momente machen das Leben aus. Dazwischen wird es immer wieder hart, anstrengend, furchterregend, unverständlich und auch ungerecht sein. Aber für diese vollkommenen Momente lohnt es sich, den Rest auszuhalten.
    Der Musikrhythmus ändert sich, Dieter zieht mich in die Gruppe der Tanzenden hinein. Wenig später intonieren wir gemeinsam den Klassiker: »We – will – we – will – ROCK – YOU!!«
    Ich hopse, als wäre ich ein Nachwuchs-Punk beim Pogo-Wettbewerb, und freue mich an meiner Kondition und Beweglichkeit.
    Vielleicht sollte Tina mehr Sport treiben – dann wäre ihr das Herumgehüpfe auch nur noch halb so peinlich. Sie scheint jedoch ihre Bedenken über Bord geworfen zu haben, denn sie kämpft sich zu mir durch. Allerdings nicht, um mit mir zu tanzen. »Da ist jemand für dich!«, schreit sie mir ins Ohr und zeigt in Richtung Haustür.
    »Wer denn?«
    Aber sie hat sich schon wieder umgedreht und rudert in Richtung Bar zurück.
    Als ich noch außer Atem und leicht verschwitzt in den Windfang einbiege, steht dort Andreas.
    Andreas! Zum ersten Mal bemerke ich, dass seine dunklen Haare an den Schläfen einen schmalen Silberrand bekommen haben. Wieso ist mir das in den vergangenen Tagen gar nicht aufgefallen? Hinter den Brillengläsern mustern mich seine dunklen Augen. Um seinen Mund liegen Schatten. Er sieht aus, als hätte er schlecht geschlafen. Wieder fängt mein Herz an zu rasen. Ich will ihm am liebsten sofort um den Hals fallen. Aber er sieht so ernst aus, dass ich unwillkürlich verharre.
    »Ist was passiert?«, ist das Einzige, was ich herausbekomme.
    Andreas schüttelt den Kopf. Seine Stirn liegt in Falten.
    Wir taxieren uns zögernd. Gleichzeitig lächeln wir vorsichtig. Je länger wir uns ansehen, desto breiter wird das Lächeln, das unsere Mundwinkel hebt. Ich habe den Eindruck, in einen Spiegel zu blicken.
    Andreas öffnet seine Arme – und da weiß ich, dass alles gut wird. Ich laufe zu ihm. Er hält mich fest, sehr fest. Und dann bedeckt er mein Gesicht mit vielen kleinen Küssen, bis seine Lippen endlich meine finden. »Du hast mir so gefehlt!«
    »Du bist doch gestern erst gefahren.«
    »Ich meine nicht die beiden letzten Tage. Ich meine die letzten zwei Jahre.« Er nimmt meinen Kopf in seine Hände und sieht mich eindringlich an. »Ich musste einfach zurückkommen!«
    » Du wolltest doch wegfahren!«
    »Das war ein Fehler. Das weiß ich jetzt.«
    »Was ist mit deinem Dienstplan?«
    Andreas schüttelt seinen Kopf. »Dienstpläne kann man ändern.«
    »Warum hast du nicht angerufen?«
    »Ich wollte keine Zeit verschwenden. Ich habe mich einfach wieder ins Auto gesetzt.«
    Ein Polonaisezug zieht jubelnd an uns vorbei und zur Haustür hinaus. Tina führt, und die, die hinter ihr laufen, werfen Konfetti durch die Gegend. Andreas zieht mich aus dem Windfang ins Haus. »Wo können wir in Ruhe miteinander reden?«
    Mir fällt nur mein Zimmer ein. Ich zeige

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