Kleine Schiffe
mich mit Hilfe einer sorgfältigen Beinrasur und unter großzügiger Verwendung meines Lieblingsparfüms am Morgen auf diesen Tag vor. Und dann stand ich heulend vor meinem Kleiderschrank. Denn was bitte trägt man zu einer Scheidung?
Während wir im Amtsgericht darauf warteten, aufgerufen zu werden, hatte ich das seltsame Gefühl, mir selbst zuzuschauen. Das war doch nicht ich, die da mit blassem Gesicht und in dem ungewohnten dunklen Kostüm im Wartezimmer saß! Das alles hatte nichts mit mir zu tun. Nichts, gar nichts. Es fing schon beim Datum an: An einem 14. April tut kein Mensch so etwas freiwillig. An einem 14. April starrt man morgens aus dem Fenster und fragt sich, ob der Frühling jemals kommen wird. Man schlägt den Kragen hoch, sieht die Wurfsendungen durch und ärgert sich, weil man eine Laufmasche hat. Eine Scheidung passt sowieso viel besser in den November, dachte ich und sah mir weiter beim Schlechtfühlen zu.
Andreas empfand wahrscheinlich ähnlich, obwohl er es doch gewesen war, der sich nicht mit einer Trennung zufriedengeben konnte. Mit ernster Miene saß er neben mir. Über einem Anzug, den ich nicht kannte, trug er seinen Trenchcoat und einen schwarzen Schal, der mir ebenfalls neu war.
Die Scheidung war keineswegs so dramatisch, wie man das aus amerikanischen Fernsehserien kennt. Wir saßen mit »unserer Anwältin« und dem Richter in einem öden Gerichtszimmer. »Unsere Anwältin« – auch das klingt hochdramatisch, so als gehörte sie uns und würde ständig von uns konsultiert, wenn es zum Beispiel um unsere (nicht vorhandenen) Immobilien oder (ebenfalls nicht vorhandenen) Aktienpakete oder (schon gar nicht vorhandenen) Drogenvorräte und (niemals benötigten) Alibis ging. Wir hatten unsere Anwältin vorher insgesamt dreimal getroffen. Sie ist eine Bekannte meines Chefs, eine kluge, nette Frau in meinem Alter, die immer in Eile ist. »Alleinerziehend mit fünfjährigen Zwillingen!«, hatte sie bei unserem ersten Termin entschuldigend vorgebracht, weil sie mit einer zwanzigminütigen Verspätung erschien.
Der Richter war ein bedrohlich großer Mann mit einem zerzausten Haarkranz um eine runde Glatze und mit einem Gipsfuß (Sportunfall!). Irgendetwas an uns schien ihn zu verblüffen, denn er blickte zweimal misstrauisch zu uns herüber, bevor er zu seinem Platz humpelte. Er sah aus wie die Idealbesetzung des Unholds im Märchenland. Er lehnte zwei quietschrote Krücken gegen den Tisch, blätterte in unserer Akte, blätterte weiter, fragte uns mit einer sanften Stimme, die so gar nicht zu seiner riesigen Statur passte, nach dem absolvierten Trennungsjahr und ob wir unsere Ehe als »endgültig gescheitert« betrachteten. Bei diesen Worten fiel zunächst die eine, dann die andere Krücke mit lautem Knall zu Boden.
Erst in diesem Moment ließ Andreas meine Hand los. Auch das mag befremdlich erscheinen: Wir haben uns monatelang nicht gesehen, treffen uns auf den Stufen zum Amtsgericht Hamburg-Mitte am Sievekingplatz und marschieren dann Hand in Hand zur Verhandlung. Andreas hat mich immer an die Hand genommen, von unserem ersten Treffen damals auf Juist an, als er mir auf sein Segelboot half. So kam es uns gar nicht merkwürdig vor, Händchen haltend zu unserem Scheidungstermin zu gehen, sondern richtig und gut. Vielleicht schaute deshalb dieser Richter-Riese am Anfang so irritiert.
Nach dem Termin schüttelten wir dem Richter und der Anwältin die Hand. Und dann standen wir auf der Straße her-um – nun doch ein wenig verlegen.
»Wollen wir noch etwas zusammen essen?«, fragte ich schließlich.
Andreas sah auf seine Uhr. Er war unschlüssig.
Ich hängte mich an seinen Arm. »Komm schon. Das sind wir uns doch wohl schuldig, oder?«
Andreas seufzte. »Hunger habe ich allerdings. Wo möchtest du denn essen? Ich habe nicht so wahnsinnig viel Zeit.«
Wie auf Verabredung vermieden wir beide die Erinnerung an unser altes Stammlokal in Winterhude, das »3 Tageszeiten«, und die leckere Wildkräutersuppe auf der Speisekarte.
Andreas sagte: »Warum zeigst du mir nicht einfach ein Lokal, das in der Nähe deiner neuen Wohnung ist?«
Ich bin vor kurzem nach Eimsbüttel gezogen, in ein altes Häuschen in der Wiesenstraße. Eigentlich wünschte ich mir eine kleine Wohnung in der Nähe der Praxis am Rothenbaum, in der ich als Arzthelferin arbeite. Aber dann hat mich Tina in eine Kneipe in Eimsbüttel geschleppt, einem Bezirk, der meistens mit dem Adjektiv »lebendig« beschrieben wird – was die
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