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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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einzuprägen. Ich sehe seinen Mund mit den nach oben gezogenen Mundwinkeln, seine gerade Nase. Und ich sehe seine schön geformten Hände, die nun wieder meine Hüften umfassen, und sage laut: »Ja, ich will. Wirklich.«
    Danach liegen wir erschöpft nebeneinander. Andreas vergräbt seinen Kopf an meiner Schulter und drückt mich so eng an sich, dass ich mich kaum bewegen kann. Trotz dieser großen, tröstlichen Nähe vermeiden wir, einander in die Augen zu sehen.
    Ich denke an unser erstes Mal, damals, in dem kleinen Apartment auf Juist. Ich hatte bei einem Preisausschreiben einen Segelkurs gewonnen. Andreas jobbte dort in den Semesterferien als Segellehrer. In unserer ersten Nacht erzählte er mir eine asiatische Legende, die besagt, dass der Mond bei der Geburt eines Jungen dessen Fuß mit einem roten Band an den Fuß seiner zukünftigen Frau bindet. Das Band ist unsichtbar, doch die beiden Menschen suchen einander, und wenn sie sich finden, erreichen sie das größte Glück auf Erden.
    »Was geschieht, wenn sie einander nicht finden?«, fragte ich damals in die Dunkelheit.
    Andreas küsste mich und sagte: »Dann finden sie niemals ihr Glück. Jedenfalls nicht in dieser Welt. Erst im Himmel erkennen sie, wer für sie bestimmt war.«
    Am nächsten Morgen kaufte er in einem Schreibwarengeschäft rotes Geschenkband aus Seide und band es mir um den Knöchel. »Ich muss nicht mehr auf den Himmel warten.«
    Ich habe dieses Band immer gehütet wie einen Schatz, es war mir fast wichtiger als der Ehering. Trotzdem habe ich heute Morgen Tränen hinunterschlucken müssen, als ich den schmalen, goldenen Ring mit dem eingravierten »F & A« vom Finger zog und in meinem Schmuckkästchen verstaute. Mein Finger fühlt sich nackt an. Alle paar Minuten durchzuckt mich der Schreck. »Du hast deinen Ring verloren!« Dann versuche ich mich mit dem Satz zu beruhigen: »Ich habe ihn nicht verloren, ich bin bloß geschieden.« Und frage mich, was mich an diesem Satz beruhigen soll.
    Andreas trägt seinen Ring schon länger nicht mehr, denn seine Finger sind gleichmäßig gebräunt. Er hat in Aabenraa gleich Anschluss an Segler gefunden und verbringt jede freie Minute auf See. Seit damals sind wir nie wieder gemeinsam gesegelt. Ich befürchtete schon als Kind immer, ins Wasser zu fallen und zu ertrinken. Was natürlich unrealistisch ist, weil ich schwimmen kann. Aber sind Ängste nicht sowieso meistens unrealistisch? Schiffe gefielen mir zwar aus der sicheren Entfernung an Land, und ich liebte Geschichten und Filme über Matrosen, Piraten und abenteuerlustige Kapitäne. Aber eben nur in der Theorie, praktisch habe ich auch heute noch Angst, ins Wasser zu fallen. Weswegen ich auch als Hamburgerin nie auf der Alster rudere oder Hafenrundfahrten mache. Ohne das Preisausschreiben wäre ich niemals auf die Idee gekommen, ein Segelboot zu betreten. Den Segelurlaub als Gewinn hatte ich völlig überlesen, mich hatte damals eine Reise nach Athen gereizt, die es ebenfalls zu gewinnen gab.
    Andreas bleibt nicht über Nacht. Ich bin nur kurz eingeschlafen, als ich spüre, wie er aus dem Bett schlüpft.
    Während er im Bad verschwindet, schleiche ich hastig zu meinen Schmuckkästchen, das auf der Fensterbank steht. Dort liegt neben dem ausrangierten Ehering sauber eingerollt das rote Seidenband. Das schiebe ich, als ich die Wasserspülung rauschen höre, schnell in die Innentasche von Andreas’ Lederjacke, gleich neben das Portemonnaie. Ein bisschen albern komme ich mir dabei vor, aber ich kann nicht anders – ich murmele wie eine Gebetsformel die Worte: »Damit gebe ich dich frei.« Und ich wundere mich, dass mir dabei nicht das Herz bricht.
    Andreas kommt zurück. Er sammelt seine Kleidungsstücke ein, setzt die Brille auf und wirft mir einen überraschten Blick zu. Der Schein der Korridorlampe erhellt nur den Türrahmen. Ich blinzele in die Helligkeit. »Habe ich dich geweckt?«
    Jetzt ist mir meine Nacktheit unangenehm. Ich schüttele den Kopf und schlüpfe wieder unter die Decke.
    Andreas schaut sich um. »Gibt’s hier irgendwo Licht?«
    Ich drücke schnell auf den Schalter der kleinen Tischlampe, die ich neben das Bett auf den Boden gestellt habe, da ich noch keinen Nachttisch besitze. Dabei wäre mir am liebsten, der Raum würde weiterhin im gnädigen Halbdunkel bleiben.
    »Jetzt muss ich mich beeilen. Ich arbeite doch morgen früh«, murmelt Andreas mit gerunzelter Stirn. Die Zärtlichkeit, die Sanftheit, alles ist verschwunden. Er wirkt

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