Kleiner Hund und große Liebe
sich denken konnte. Sagte ich „Straßen“? Kleine Wege waren es, oft so schmal, daß zwei Autos nur mit knapper Not aneinander vorbeifahren konnten.
Auf einem solchen Weg kamen mir zwei Reiter entgegen. Ich blickte ihnen neidisch nach, denn ich reite für mein Leben gern! Als ich für das sonntägliche Ponyreiten im Zoo zu groß geworden war, durfte ich Reitunterricht nehmen. Die zwei Stunden in der Woche, die ich auf dem Pferderücken verbrachte, waren wunderschön! Oh, wie müßte man hier reiten können; das Gelände war ja wie geschaffen dafür!
„Ja, da ist ein Reitstall im Nachbardorf“, erzählte Tante Elsbeth. „Es ist sehr leicht hinzukommen, wenn man ein Auto hat - nun ja, mit dem Fahrrad geht es auch, es sind nur vier Kilometer.“
Wenn man ein Auto hat - wir hatten zwei! Als Papa seinen Kombiwagen kaufte, erbte Mama seinen alten Käfer, der ihr schon viele Jahre gute Dienste geleistet hatte. Der Wagen hatte im engen Familienkreis auch einen Namen, und das kam so: Als ich einmal mit Papa auf der Straße ging, sagte er plötzlich: „Was für ein schöner Jaguar!“
„Wo siehst du einen Jaguar?“ wollte ich wissen. Jaguare kannte ich aus dem Zoo.
„Kein lebendiger Jaguar, Elainchen. Ich meine den schönen Wagen da. Die Marke heißt Jaguar und ist sehr vornehm und sehr teuer.“
„Wenn der Wagen ein Jaguar ist, dann ist Mamas Auto eine Wildkatze“, meinte ich, und so hatte der gute alte Käfer seinen Namen bekommen! Er hieß von dem Augenblick an nur noch die Wildkatze! Aber augenblicklich hatten wir weder Jaguare noch Wildkatzen - Nicht einmal ein Fahrrad! Ach, ich Schaf, warum hatte ich nur mein Klapprad nicht mitgenommen? Dann hätte ich all mein Taschengeld zusammengekratzt für eine Reitstunde - oder vielleicht zwei!
Mama behauptet, daß ich ein Glückskind bin, und daß es vielleicht damit zusammenhängt, daß ich an einem Sonntag geboren wurde. An diesem Tag hatte ich Glück - wie so oft.
Der alte Rentner, der Tante Elsbeths Vorgarten pflegte, kam uns besuchen, und er hatte seine vierzehnjährige Enkelin dabei. Sie kreuzte in Reithosen auf.
„Kommst du vom Reiten?“ fragte ich sie.
„Nein, im Gegenteil, ich werde in einer Stunde reiten“, erklärte sie.
„Du Glückspilz!“ seufzte ich. „Ich möchte gern reiten, aber vier Kilometer zu Fuß - und außerdem weiß ich nicht, ob mein Geld reicht. Ist es furchtbar teuer?“
„Ja“, sagte das Mädchen, das Dorte hieß. „Für andere ist es teuer, für mich nicht. Weißt du, jetzt ist ja keine Hochsaison, die Pferde stehen nun da, und sie müssen jeden Tag bewegt werden, so komme ich zum Reiten! Aber im Sommer ist es Essig, wenn die Touristen kommen.
Dann werden die Pferde genügend bewegt!“
„Wenn ich bloß mein Rad hier gehabt hätte, dann wäre, ich jetzt mitgekommen“, sagte ich und seufzte wieder.
„Kannst du auf einem Herrenrad fahren?“ fragte Dorte.
„Klar, das ist keine Kunst.“
„Dann komm mit, du kannst das Rad meines Bruders borgen. Eine Reithose brauchst du nicht, die meisten reiten in Jeans.“
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen! Tante Elsbeth wünschte uns viel Vergnügen, sie wußte ja, wie gern ich reite, und wir zogen los, ich auf einem alten Herrenrad.
Im Reitstall trafen wir einen jungen Mann, den Dorte anscheinend gut kannte.
„Fein, daß du kommst, Dorte. Der Figaro wird ganz steifbeinig, wenn er jetzt nicht eine Stunde Bewegung kriegt. Und die Ballerina ist schon ganz melancholisch. Welches von beiden Pferden möchtest du haben?“
„Den Figaro, bitte. Ich sattle schon selbst, das kann ich.“ Schon ging Dorte zu dem bewegungsbedürftigen Figaro hinüber, und der junge Mann sprach mich an: „Und du? Kommst du nur zur Verzierung mit, oder willst du reiten?“
„Ich möchte wahnsinnig gern reiten, wenn es nicht allzu teuer ist.“
„Heute nicht. Heute kriegst du es umsonst, weil du eine gute Tat vollbringst. Kannst du reiten?“
„O ja, ich habe seit vielen Jahren Reitunterricht.“
„Na, das ist gut, komm mit, du kriegst Ballerina. Wer bist du übrigens?“
„Ich heiße Elaine Grather und komme aus Frankfurt. Ich bin Gast bei Frau von Krohn.“
„Ach so! Wie geht es Frau von Krohn?“
„Oh, es geht schon, wenn sie nur ein bißchen aufpaßt und ihrem Herzen nicht zuviel zumutet.“
„Ja, sie sollte vorsichtig sein, sie ist so eine nette alte Dame. Ihr Enkel nahm mal Reitstunden hier, aber nur kurze Zeit, vor einem Jahr. Er wollte nachher irgendwohin und
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