Agenten kennen kein Pardon
1
Der Motor tuckerte noch ein wenig, dann stand der Wagen still.
Dr. Bouth sah erstaunt auf die Uhren des Armaturenbretts. Die Zeituhr sagte, daß es ½ 12 Uhr mittags war, der Öldruck war normal.
»Das ist etwas ganz Neues«, stellte Dr. Bouth fest und wandte sich an Mabel Paerson, die neben ihm in den weichen Polstern saß und erstaunt aus dem Fenster sah.
»Eine Panne?« fragte sie und reckte sich.
»Viel schlimmer, Mabel – kein Benzin mehr!« Dr. Bouth lachte und stieg aus dem Wagen. Er umging ihn wie einen Lastesel, der plötzlich nicht mehr seine Säcke tragen will und einer strengen Aufmunterung bedarf. Auch Mabel Paerson war ausgestiegen und glättete mit den Händen ihren Rock, ehe sie nach hinten zum Kofferraum des Wagens ging.
Um sie herum war die Weite New Mexicos. Der Sand der Wüste von Alamogordo staubte über den Asphalt der Regierungsstraße. Es war heiß an diesem Augusttag des Jahres 1952. Die Luft stand flimmernd über den Büschelgräsern und den ewigen Kakteen, die zu beiden Seiten der Straße etwas wie Vegetation spielten. In der Ferne, im Dunst des Sommers, ahnte man die Cañons von Hondo und die Jemezberge. Irgendwo in dieser flimmernden Ferne mußte auch der Rio Grande fließen, der mächtige Strom, der die Grenze zwischen den USA und Mexiko bildet.
Mabel Paerson wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Kleine Schweißperlen blieben an der Haut kleben. »Was nun?« fragte sie und schaute sich um. »Bis zur nächsten Station können es gut fünfzig Kilometer sein.«
Dr. Bouth zuckte mit den Schultern und brannte sich eine Zigarette an. »Wir müssen warten, bis ein ebenso einsamer Autofahrer wie wir uns ein Tröpfchen Benzin leiht.« Er knöpfte sein Hemd über der Brust auf und lehnte sich gegen den Kofferraum. »Ich muß allerdings sagen, daß an dieser Panne kein anderer schuld ist als du, Mabel.«
»Das möchte ich energisch bestreiten!« Mabel Paerson, eine etwa einundzwanzigjährige Blondine, von der ihre Kollegen auf dem Columbia-College sagten, sie sei hübsch und ein Luder dazu, rümpfte die Nase.
»Ein typischer Fall von Unlogik«, stellte Dr. Bouth fest. »Wenn ein Mann nur noch Augen für eine Frau wie du, Mabel, hat, dann denkt er an kein Benzin mehr.«
Dr. Ralf Bouth war ein hochgewachsener, etwa fünfunddreißig Jahre alter Mann mit dem Gesicht eines Jungen und den Augen eines ewig Suchenden. Wer ihn so an der Straße stehen sah, mit offenem, durchgeschwitztem Hemd, ungebügelten Hosen und schweißverklebten Haaren, die staubigen Schuhe auf die Stoßstange seines Wagens gestützt, der dachte nicht daran, daß dieser Dr. Bouth der 1. Assistent von Prof. Dr. William Paerson war, einer der Männer in dem unbekannten Heer der Wissenschaftler, das in Los Alamos, vierzig Kilometer nordwestlich von Santa Fé, in den unergründlichen Cañons, eingegraben in den Felsen, niedergeduckt in die schmalen Täler die Atomstadt Amerikas schufen. Er war ein Mensch wie alle Menschen … das wäre schon genug für seine Beschreibung, nur, daß sein Gehirn nicht über Obst oder Durchschreibebuchhaltung nachdachte, sondern über die Verwendbarkeit von Plutonium für Superbomben und die Formeln einer neuen Kettenreaktion von gespaltenen Atomen, die Prof. Paerson vor einigen Wochen in seinem unterirdischen Laboratorium in einer von 100 Zentimetern dicken Bleiplatten- und Betonschutzwänden umgebenen Brennretorte von Graphit entwickelt hatte.
Der große Wagen war staubig. Er hatte eine weite Fahrt hinter sich. Quer durch die Rockies war er gesummt, von Kalifornien kommend, wo Mabel Paerson, die Tochter des Prof. Paerson, ihren Urlaub verlebte und nun an der Seite ihres Verlobten den Vater in Los Alamos besuchen wollte.
»Fahren Sie mal nach Los Angeles«, hatte Prof. Paerson vor einer Woche leichthin gesagt, und Dr. Bouth legte den Bleistift auf den großen Tisch, der übersät war mit Tabellen. »Mabel möchte nach hier kommen. Ich habe das Mädel fast ein Jahr nicht gesehen. Holen Sie sie ab, Ralf. Auch Ihnen tut es gut, aus dem klösterlichen Leben hier herauszukommen.«
Nun stand man auf der breiten Überlandstraße, ohne Benzin, in der prallen Sonne des August, umgeben von Sand und Kakteen, flimmernder Luft und einem leisen Wind, der mehligen Staub durch die Kleidung bis auf die Haut trieb.
Mabel Paerson lehnte sich neben Dr. Bouth an den Kofferraum.
»Wir könnten den Kahn schieben«, meinte sie, aber das Lächeln, das sofort auf Ralfs Lippen erschien, ließ sie
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