Kleiner Hund und große Liebe
„Papa kommt, Mamichen!“
Ich hatte ihn weder gesehen noch gehört, aber auf Barry war Verlaß. Er wußte immer, wenn Papa zum Gartentor hereinkam, und er kannte genau das Geräusch von Papas Wagen.
Es wurde eine stille Mittagsmahlzeit. Wir aßen wenig und sprachen noch weniger. Sogar Marcus war schweigsam.
Ich sagte meine Reitstunde ab. Wir gingen still unseren Pflichten nach - und warteten, warteten. Mama fragte Frau Janssen, ob sie nicht nach oben zu uns kommen wollte, aber sie lehnte ab. Sie wollte am Telefon bleiben.
Papa ging in sein Atelier in der unteren Etage. Marcus bekam Besuch von einem Nachbarjungen, und die beiden liefen in den Garten. So waren Mama und ich allein, als das Telefon klingelte.
Mama antwortete.
Es wurde nicht viel gesagt. Ich verstand, daß sie mit Udo von Krohn sprach. Ihre Stimme war tränenerstickt, sie konnte kaum sprechen.
„Ja, Herr von Krohn“, sagte sie zuletzt leise und heiser. „Natürlich tue ich das. Ich danke Ihnen, daß Sie angerufen haben. Ich. wir alle. denken sehr an Sie und Ihre Familie.“
Sie legte den Hörer auf und wischte sich die Augen. „Mama. ist es. war es.“
„Ja, Elainchen. Tante Elsbeth ist ganz still eingeschlafen. Ich habe versprochen, es Frau Janssen zu sagen.“
Mama stieg die Treppe hinunter, und ich ging ins Atelier zu Papa.
Das ganze Haus war so still.
Papa nahm mich in die Arme, und ich weinte an seiner Brust. Weinte. weinte.
Tante Elsbeths Letzter Wille
Was einem auch passiert, der Alltag muß weitergehen.
Die ersten Tage waren so - ja, so anders. Tante Elsbeth hatte so unbedingt zu unserem Leben gehört, und sie hinterließ eine große Leere. Wir hatten alle an ihr gehangen. Sie war uns so viel, viel mehr gewesen als nur unsere Wohnungsvermieterin. Sie war uns ans Herz gewachsen, und das beruhte wohl auch auf Gegenseitigkeit.
Aber für uns ging das Leben weiter, so wie es nun einmal ist.
Mama und Papa gingen zu der Beerdigung. Ich konnte nicht mit, denn ich mußte zur Schule gehen.
Am folgenden Tag kamen Leute in Tante Elsbeths Wohnung. Wir hörten Stimmen und Schritte, Geräusche aus der Küche, der Wasserhahn lief, da lautete das Telefon. Möbel wurden gerückt, es klingelte an der Wohnungstür.
Heute sollte die Testamentseröffnung stattfinden. Udo von Krohn hatte Papa gebeten, dabeizusein.
„Sie hat vielleicht den Kindern etwas hinterlassen“, meinte Mama. „Sie hat doch einmal so etwas angedeutet.“
Die liebe, gute Tante Elsbeth!
Ich gebe ehrlich zu: Ich übergespannt! Tante Elsbeth war eine sehr wohlhabende Dame gewesen. Vielleicht - vielleicht hatte sie mir ein Schmuckstück als Erinnerung vermacht?
Endlich wurde es still da unten. Die fremden Menschen verließen das Haus, Autos wurden gestartet. Und jetzt kam Papa.
„Papa, warum wollte er, daß du. Du siehst aber so merkwürdig aus. Bist du furchtbar unglücklich oder sehr froh?“
„Sagen wir, ich bin tief bewegt“, antwortete Papa. Er legte mir den Arm um die Schultern. „Komm, setz dich, Lillepus. Das, was ich dir zu sagen habe, könnte dich vielleicht zum Umfallen bringen!“
Ein kleines Lächeln war auf Papas Gesicht zum Vorschein gekommen.
„Soll ich mich auch hinsetzen?“ fragte Mama.
„Das wäre vielleicht das beste. Nun also, um mit dem Jüngsten anzufangen: Marcus, du kriegst den großen Leuchtglobus.“
„Au fein!“ rief mein Bruder.
„. und den Kassettenrecorder und Geld für ein erstklassiges, großes Fahrrad.“
Marcus blieb mit offenem Mund stehen. Endlich fand er die
Sprache wieder: „Oh, wie schade, daß Tante Elsbeth tot ist! Gerade jetzt hätte ich sie sooo gern umarmt!“
„Es geht weiter“, fuhr Papa fort. „Elaine, du kriegst auch Geld, und zwar für einen Brennofen in deiner Töpferwerkstatt.“
„Oh, die liebe Tante Elsbeth! Sie wußte ja, wie sehr ich mir so einen Ofen wünsche!“
„Du und ich, Bernadette“, sagte Papa und drehte sich zu Mama um, „wir kriegen den Farbfernseher und den großen Perserteppich aus dem Wohnzimmer.“
„Du liebe Zeit!“ hauchte Mama. „Der Teppich ist ein Vermögen wert!“
„Dies alles“, erklärte Papa weiter, „stand in dem Testament, das vor einem Jahr aufgesetzt wurde. Aber vor vierzehn Tagen hat Frau von Krohn das Testament ergänzt.“
„Und diese Ergänzung - geht die uns auch an?“ fragte ich.
„Sie geht dich an, Elainchen“, sagte Papa, und mir war, als sei seine Stimme sehr bewegt. „Denn in dieser Ergänzung hat sie dir ihr Haus in der Heide
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