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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Natürlich nicht. Herrgott, Donald, wieso fragst du das?
    Ich weiß nicht. Nur so ein Gefühl.
    Nein, Donald. Nein.
    Sutton steckt nachdenklich eine Hand in seine Brusttasche. Na ja, sagt er, vielleicht ja doch – wenn man um die Ecke denkt. Alle Wege führen irgendwann zu Schuster, stimmt’s, Donald?
    Donald nickt. Und fährt. Du siehst gut aus, Willie Boy.
    Sie sagen, dass ich sterbe.
    Quatsch. Du stirbst nie, verdammt.
    Ja. Klar.
    Du könntest nicht mal sterben, wenn du wolltest.
    Hm. Du weißt gar nicht, wie recht du hast.
    Donald zündet zwei Zigaretten an, reicht eine an Sutton weiter. Wie wär’s mit einem Drink? Hast du noch Zeit vor deinem Flug?
    Was für eine reizvolle Vorstellung. Ein Schluck Jameson, wie mein Daddo immer sagte.
    Donald biegt vom Highway ab und parkt vor einer schäbigen Raststätte. Stechpalmenzweige und Weihnachtslichter hängen über der Bar. Seit seine geliebten Dodgers noch in Brooklyn waren, hat Sutton keine Weihnachtslichter mehr gesehen. Nur die augenversengenden Neonlichter im Gefängnis und die nackte Sechzig-Watt-Birne in seiner Zelle.
    Sieh mal, Donald.
Lichter
. Man weiß, dass man in der Hölle war, wenn einem eine Kette mit winzigen Glühbirnen über einer miesen Bar schöner vorkommt als der Luna Park.
    Donald deutet mit dem Kopf in Richtung Barfrau, ein junges blondes Ding in enger Paisleybluse und Minirock. Wo wir gerade von schön sprechen, sagt Donald.
    Sutton starrt die Barfrau an. Als ich verschwunden bin, hatten sie noch keine Miniröcke, sagt er leise, respektvoll.
    Du kommst in eine andere Welt zurück, Willie.
    Donald bestellt ein Schlitz. Sutton einen Jameson. Der erste Schluck ist ein Segen. Der zweite ein rechter Haken. Sutton stürzt den Rest in einem brennenden Schluck hinunter, schlägt mit der Hand auf den Tresen und verlangt noch einen.
    Auf dem Fernseher über der Bar laufen Nachrichten.
    Unsere wichtigste Meldung heute Abend. Willie the Actor Sutton, der am schwersten zu fassende Bankräuber in der amerikanischen Geschichte, wurde aus der Attica Correctional Facility entlassen. In einer überraschenden Entscheidung von Gouverneur Nelson Rockefeller …
    Sutton starrt auf die Maserung der Thekenfläche und denkt: Nelson Rockefeller, Sohn von John D. Rockefeller jr., Enkel von John D. Rockefeller sr., enger Freund von – Noch nicht, mahnt er sich. Noch nicht.
    Er greift in seine Brusttasche, berührt den Umschlag.
    Jetzt erscheint Suttons Gesicht auf dem Bildschirm. Sein früheres Gesicht. Ein altes Polizeifoto. Keiner an der Bar erkennt ihn. Sutton lächelt Donald verschlagen an und zwinkert. Sie kennen mich nicht, Donald. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal in einem Raum voller Menschen war und keiner mich erkennt. Schönes Gefühl.
    Donald bestellt noch eine Runde. Dann noch eine.
    Ich hoffe, du hast Geld, sagt Sutton. Ich hab nur zwei Schecks von Gouverneur Rockefeller.
    Die wahrscheinlich platzen, sagt Donald schleppend.
    Sag mal, Donald. Soll ich dir einen Trick zeigen?
    Immer.
    Sutton hinkt an der Theke entlang. Und wieder zurück. Tada!
    Donald blinzelt. Ich glaube, den kapier ich nicht.
    Ich bin von hier nach da gelaufen, ohne dass mich ein Wärter schikaniert. Ohne dass mir ein Knacki blöd kommt. Drei Meter – ein halber Meter mehr als die Länge meiner verdammten Zelle. Und ich musste zu keinem
Sir
sagen, weder vorher noch nachher. Hast du schon mal so was Unglaubliches gesehen?
    Donald lacht.
    Ah, Donald – endlich frei sein. Richtig
frei
. Man kann dieses Gefühl keinem beschreiben, der nicht im Knast war.
    Jeder sollte mal eine Weile absitzen, sagt Donald und unterdrückt einen Rülpser, damit er weiß, wie das ist.
    Es wird Zeit. Willie schaut auf die Uhr über der Bar. Scheiße, Donald, wir müssen los.
    Donald fährt über vereiste Nebenstraßen. Zweimal schlittern sie auf den Randstreifen. Beim dritten Mal landen sie fast in einer Schneewehe.
    Kannst du überhaupt fahren, Donald?
    Scheiße nein, Willie, wie kommst du denn darauf?
    Sutton hält sich am Armaturenbrett fest. Er starrt auf die Lichter von Buffalo in der Ferne und erinnert sich, dass früher Schnellboote aus Kanada Alkohol hier runterbrachten.
    In den 1920 er Jahren, sagt Sutton, wurde die ganze Gegend hier von polnischen Gangs beherrscht.
    Donald schnaubt verächtlich. Polnische Gangster! Was haben die schon gemacht? Leute überfallen und ihnen dann
ihre
Brieftaschen übergeben.
    Für diese Bemerkung hätten sie dir die Zunge

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