Golem XIV
1. Information und Utopie
1964 erschien in Polen die »Summa Technologiae« 1 , ein Buch, dessen Gattungszugehörigkeit ich nicht bestimmen konnte, obwohl ich sein Autor bin. Damals war noch nichts zu hören von den als Futurologie inzwischen institutionalisierten Zukunftsforschungen, was allerdings nur zum Teil die klassifikatorische Unbestimmtheit der »Summa« erklärt, die nicht einfach dem prognostischen Schrifttum zugerechnet werden kann, da ihre Voraussetzung die Unvorhersehbarkeit der Zukunft ist. Ich fand jedoch, daß derjenige, der eine solche Unvorhersehbarkeit voraussetzt, nicht allein schon dadurch zum Schweigen verurteilt ist; denn die konkrete Zukunft nicht kennen, heißt ja nicht, die Chancen dessen, was sich als Technologie verwirklichen kann, nicht durchdenken zu können.
Diesen Hauptbegriff des Buches habe ich dermaßen ausgeweitet, daß er sowohl natürliche als auch künstliche Phänomene einschließt. Irgendwie kann man einen Stern als in der Explosion von der Schwerkraft gesteuerte »Wasserstoffbombe« sui generis ansehen, ebenso wie man die natürliche Evolution des Erbcodes mit einer organisierten Anhäufung von Informationen vergleichen kann, die dem Aufbau bestimmter, gemeinhin Pflanzen und Tiere genannter Vorrichtungen dienen.
Unter der halb ernst gemeinten Losung »Die Natur (in der Perfektion konstruktiver Lösungen) einholen und überholen!« sollte das Buch überlegen, welche Technologien außer den vom Menschen bereits beherrschten denn zu verwirklichen sind. So wurde zum konventionellen Helden der »Summa« der Konstrukteur, der zunächst nur die Natur heimlich beobachtet und sich dann erkühnt, mit ihr in die Wettbewerbsschranken zu treten. Dieser Konstrukteur ist, um es einmal so zu sagen, nur ein Mensch in der ersten Annäherung. Er soll nämlich die Personifizierung der Vernunft und des vernünftigen Handelns bilden, ohne Rücksicht darauf, ob das eine wie das andere einen besonderen Himmelskörper, genannt Erde, betrifft oder irgendwelche anderen Planeten und Orte des Weltalls. Und das alles, weil der Konstrukteur nicht nur die ihn umgebende Welt umgestalten kann. Nachdem er das dazu nötige Wissen und die instrumentalen Mittel erworben hat, kann er sich auch an die Umgestaltung seiner selbst und der ihm Ähnlichen machen. Ich habe mich damit beschäftigt, was im konstruktiven Sinn ausführbar ist, und nicht erst damit, was als Aufgabe »richtig« (gut) oder »unrichtig« (schlecht) ist, weil ich meinte, diese Frage sei im Vergleich mit der Handlungsfähigkeit selbst zweitrangig. Dabei war ich weit entfernt davon zu glauben, die wahrscheinliche Konstruierbarkeit der im Buch aufgezählten »Vorrichtungen« wie die »Züchtung von Informationen« oder die ingenieurtechnisch in die uns gegebene Welt eingepflanzten »Unterwelten« wäre schon gleichzusetzen mit der Ansicht, die Menschheit würde das alles eines Tages realisieren. Ich habe nämlich als möglich angenommen, daß die Menschheit auf fatale Weise und ziemlich bald mit sich Schluß macht und aus der Menge der aufgezeigten Chancen keine einzige nutzt.
Denn ich habe eine Vielzahl von Vernünften im Kosmos vorausgesetzt, eine Vielzahl von Zivilisationen und eine potentielle Verschiedenartigkeit der Wege zivilisatorischer Entwicklung. Ich war also gewissermaßen der Küchenchef, der bei der Zusammenstellung einer umfangreichen Speisekarte durchaus nicht der Ansicht ist, jeder Gast solle persönlich alles verzehren, was auf der Karte steht. Die »Summa Technologiae« hat, ähnlich wie die sechs Jahre zuvor veröffentlichten »Dialoge«, weder in den literarischen noch in den wissenschaftlichen Kreisen Polens Aufmerksamkeit erregt. Die »Dialoge« wurden kein einziges Mal rezensiert, die »Summa« erlebte nach einigen Monaten eine Besprechung in dem Warschauer literarischen Monatsblatt »Twórczość« (Schaffen) 2 . Ihr Verfasser war Leszek Kołakowski, ein Philosoph, der sich auch außerhalb unserer Grenzen eines nicht geringen Ansehens erfreut. Kołakowski nannte das Buch zwar »eine Perle der Literatur, die sich mit der Philosophie der Technik befaßt«, fügte jedoch im weiteren Verlauf dieses Satzes hinzu, die »Summa« »verdiene um so mehr kritische Aufmerksamkeit«, und sparte nicht an tadelnden Worten, weil ich »Information und Utopie« vermischt hätte (diesen Titel trägt die Rezension). Kołakowski eröffnete seine Besprechung mit folgenden Worten:
»Ein Junge, der mit seiner Kinderschaufel ein Loch in
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