Knight 02 - Stuermisches Begehren
geblickt. Wie gebannt betrachtete sie ihn. „Was wollen Sie von mir?“
„Dasselbe, was Sie auch wollen, meine Süße“, antwortete er und strich ihr sanft über die Hand. „Wir beide wünschen uns jemanden, der uns als die Person akzeptiert, die wir wirklich sind.“
„Und wer sind Sie, Lucien?“ wisperte sie mit zitternder Stimme.
„Bleiben Sie bei mir und finden Sie es heraus.“
„Na, das ist ja nicht zu fassen!“ unterbrach sie eine rüde Stimme von der Tür her. „Wird als Nächstes vielleicht das Aufgebot verlesen? Wurden die Blumen schon ausgesucht? Die Kirche?“
„Caro!“ Alice entzog Lucien die Hand und spürte, wie ih- re Wangen dunkelrot anliefen. Völlig durcheinander sah sie ihn an.
Er betrachtete sie ruhig.
„Ach herrje, ich wurde zwar herbestellt – aber jetzt hoffe ich doch, dass ich nicht störe“, meinte Caro bösartig. Wie aus dem Ei gepellt, perfekt frisiert und elegant gekleidet, schlen- derte die Baronin in die Bibliothek. Ihre Augen waren aller- dings blutunterlaufen, und auch das viele Rouge auf ihren Wangen konnte nicht verbergen, wie bleich sie war. „Ich würde ja warten, bis ihr fertig seid mit eurem kleinen tête-à- tête, aber mein Sohn wartet auf mich. Bist du fertig, Alice?“
„Ich komme schon ...“
„Nicht so schnell, meine Liebe.“ Lucien stand auf, wäh- rend die Emotionen, die sich in seinem Gesicht gezeigt hat- ten, hinter einer Maske aus Arroganz und Weltgewandtheit verschwanden. „Caro, komm und setz dich. Ich habe euch beide aus einem ernsten Grund herrufen lassen.“
Dann hat er Caro also tatsächlich auch einbestellt, über- legte Alice, während er zur Baronin ging.
„O ja, mir kam die Sache auch furchtbar ernst vor“, mur- melte Caro spöttisch.
„Ich wäre dir dankbar, wenn du dich zu etwas Höflichkeit durchringen könntest“, erwiderte er und führte sie zu einem Stuhl.
Während sie sich setzte, warf Caro Alice einen hochnäsi- gen Blick zu. Sie stützte den Ellbogen auf die Seitenlehne
und legte die Stirn auf die Fingerspitzen – der Inbegriff einer Person, die an den Folgen eines feuchtfröhlichen Abends lei- det. Geschieht dir recht, dachte Alice und begegnete dem Blick voll Auflehnung.
„Miss Montague, bitte setzen Sie sich.“ Lucien stellte sich zwischen die beiden Frauen und straffte die Schultern. „Mir ist bewusst, dass Sie umgehend aufzubrechen wünschen. Daher will ich mich kurz fassen.“ Ein diabolisches Lächeln umspielte seine Lippen. Lässig schlenderte er zum Schach- tisch. „Seit einiger Zeit steht mir der Sinn nach Gesell- schaft“, sagte er. „Ich habe mir die Angelegenheit durch den Kopf gehen lassen und bin nun zu einem Entschluss ge- langt.“
Er legte den Kopf schief und musterte das Schachbrett. Dann schlug er die weiße Königin mit dem schwarzen Sprin- ger. Er nahm die Elfenbeinfigur vom Brett, schaute erst Ca- ro, dann Alice an und meinte: „Ich lasse nur eine von euch fort.“
Beide Frauen blickten ihn verständnislos an.
„Wie bitte?“ fragte Caro.
Alice saß stocksteif da und starrte ihn mit einer schreckli- chen Vorahnung an. „Was soll das heißen?“
Höflich sah er sie an und erklärte, ohne mit der Wimper zu zucken: „Eine kann abreisen, die andere leistet mir eine Wei- le Gesellschaft, unterhält mich ein wenig – hier auf dem Land wird es nämlich manchmal ziemlich öde. Die Entschei- dung überlasse ich Ihnen, Alice. Wer fährt heim zu Harry, wer bleibt auf Revell Court ... und bei mir?“
Ihr Gesichtsausdruck war köstlich, doch Lucien gelang es, nicht zu lächeln. Seine Miene blieb ruhig und undurchdring- lich, aber weiß Gott – er begehrte Alice! Es war ihm egal, dass das, was er tat, einfach unerhört war. Er hatte seine Entscheidung getroffen und beabsichtigte nicht, es sich noch einmal anders zu überlegen. Dazu war ihm die Sache zu wichtig geworden.
Ihr wunderschönes Gesicht war bleich geworden; richtig schockiert sah sie aus. Lucien unterdrückte ein dunkles Lä- cheln. Nun würde sich ja herausstellen, ob sie wirklich so edel und wahrhaftig war. Er wusste genau, wie er sie zu fas- sen bekäme – an dem Versprechen, das sie ihrem Bruder auf
dem Totenbett gegeben und von dem sie ihm so voreilig er- zählt hatte, und an der Liebe zu ihrem Neffen.
Natürlich sollte es nur eine Prüfung sein, er wollte sie auf Messers Schneide gehen lassen. Sie unter Druck zu setzten war der einzig sichere Weg, um herauszufinden, was für ein Mensch sie wirklich war. Wenn sie
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