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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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im Moment eine andere Beziehung in Ihrem Leben?“, erkundigte er sich vorsichtig.
    Ob er wohl den Kragen abnahm, wenn er mit einer Frau ausging?
    „Seit einer Weile nicht mehr. Man könnte fast sagen, im Gegenteil: Vor nicht allzu langer Zeit war ich auf der Hochzeit meines letzten Freundes.“
    Plötzlich strahlte Aubrey Scott. Um seine großen, grauen Augen bildete sich ein Kranz aus feinen Lachfältchen, und er sah zum Anbeißen aus.
    „Was würden Sie denn gern machen?“, fragte er. „Kino?“
    Seit meiner Trennung von Arthur hatte ich keine Verabredung mehr gehabt. Für mich klang alles gut.
    „Ausgezeichnet“, sagte ich.
    „Vielleicht können wir in die Frühvorstellung gehen und hinterher noch irgendwo essen.“
    „Gut. Wann?“
    „Morgen?“
    „Gut. Im Kinocenter fangen die Frühvorstellungen um siebzehn Uhr an. Hatten Sie einen bestimmten Film im Auge?“
    „Gehen wir doch einfach hin und entscheiden an Ort und Stelle.“
    Im Kinocenter gab es drei Vorführsäle, gut möglich, dass in allen dreien Filme liefen, auf die ich keine Lust hatte. Aber eigentlich standen die Chancen recht gut, dass wenigstens ein halbwegs erträglicher gezeigt wurde.
    „Gut!“, wiederholte ich. „Aber wenn Sie mich zum Abendessen einladen, möchte ich Sie ins Kino einladen.“
    Das schien Aubrey nicht zu behagen. „Eigentlich bin ich Traditionalist“, gestand er. „Aber wenn Sie wollen – das wird eine neue Erfahrung für mich.“ Offenbar fand er es tapfer, dass er bereit war, sich einer solchen Erfahrung auszusetzen.
    Als er fort war, setzte ich mich wieder in meinen Ohrensessel, um langsam und genussvoll mein Glas zu leeren. Galten bei Verabredungen mit Klerikern eigentlich andere Regeln als bei Verabredungen mit normalen Männern? Aber nein, schalt ich mich, schließlich waren Kleriker ganz normale Männer, nur eben solche, die sich von Berufs wegen mit Gott auseinandersetzten. Wie kam ich darauf, mich bei einer Verabredung mit Aubrey anders verhalten zu müssen als sonst? Hielt ich mich denn für so gefährlich, anstößig und generell schräg drauf, dass ich fürchtete, bei jeder Unterhaltung mit einem Priester ständig die Zensurschere ansetzen zu müssen? Wenn dies zutraf, wurde es dringend Zeit für eine solche Erfahrung!
    Vielleicht war ein Date mit einem Priester ja so wie eins mit einem Psychiater: Möglicherweise sorgte man sich ständig darum, welche einem selbst bislang noch unbekannten Züge der Mann an einem entdecken mochte. Nun, diese Verabredung würde für mich eine lehrreiche Erfahrung sein.
    Was für ein Tag! Kopfschüttelnd tappte ich die Stufen zum Schlafzimmer hinauf. Aus einer armen, von Geldsorgen geplagten, von ihrem Liebsten verlassenen Bibliothekarin war eine wohlhabende, materiell abgesicherte, als Date begehrenswerte Erbin geworden.
    Wie gern hätte ich jemandem von meinem neuen Status erzählt! Aber Amina war wieder in Houston, wo sie höchstwahrscheinlich an nichts anderes denken konnte als an ihre bevorstehende Hochzeit, meine Mutter befand sich in den Flitterwochen (mein Gott, gerade ihr hätte ich die frohe Nachricht zu gern übermittelt, was für ein Spaß!), meine Kollegin Lillian Smith brachte mich bestimmt so weit, dass ich mich der Erbschaft wegen schuldig fühlte, und Sally Allison, die ja auch irgendwie meine Freundin war, würde die Nachricht gleich am nächsten Tag in die Zeitung bringen wollen. Am liebsten hätte ich mit meinem Freund Robin Crusoe, dem Krimiautor, über den unverhofften Reichtum geplaudert, aber Robin wohnte jetzt in der großen Stadt Atlanta. Die tägliche Fahrt von Lawrenceton zu seinem Arbeitsplatz an der Uni dort war ihm auf Dauer zu anstrengend geworden – so hatte er den Umzug zumindest mir gegenüber begründet. Am Telefon mochte ich ihm die Geschichte nicht erzählen, das wollte ich lieber direkt tun, von Angesicht zu Angesicht, sonst machte es keinen Spaß. Ich wollte dabei sein Gesicht sehen können, Robins Gesicht war eins meiner liebsten.
    Wahrscheinlich gab es einfach Feste, die man allein feiern musste. Zumal Jane hatte sterben müssen, damit diese Feier stattfinden konnte – öffentlicher Jubel war also nicht angebracht. Ich zog das schwarze Kleid aus, hüllte mich in meinen Bademantel und ging wieder nach unten, um mir einen alten Film anzusehen und dabei eine halbe Tüte Salzbrezeln zu futtern, gefolgt von einer Familienpackung Fudge-Ripple-Schokoeiskrem.
    Eine Erbin konnte sich alles erlauben.
     

     
    Am nächsten Morgen

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