Knochenerbe
Kind einen Schrei ausstieß. Es atmete, es lebte! Okay, soweit hätten wir es also geschafft. Dem Kind ging es gut, wenn es auch immer noch mit Lynn verbunden war. Sollte ich jetzt irgendetwas mit der Nabelschnur anstellen und wenn ja, was? In diesem Augenblick hörte ich das Näherkommen von Sirenen. Dem Himmel sei Dank!
„Was?“, fragte Lynn noch einmal, diesmal drängender.
„Mädchen!“, sagte ich mit bebender Stimme. „Es ist ein Mädchen!“ Ich hielt das kleine Ding so, wie ich Leute im Fernsehen Neugeborene hatte halten sehen, und nahm mir fest vor, das rosa Nachthemd zu verbrennen.
„Gut!“ Lynn lachte. Draußen schlugen Fäuste an die Tür. „Ich will verdammt sein, wenn ich es nach dir nenne!“
Kurz darauf drängte sich in Janes kleinem Haus so ungefähr die gesammelte Polizei Lawrencetons. Das Haus wirkte dadurch noch viel kleiner. Es dauerte eine Weile, bis wir die Situation entwirrt hatten.
Einige Polizisten gingen davon aus, dass ich die zu verhaftende Person sei, als sie Arthurs Exflamme vor dessen frischgebackener Ehefrau kauern sahen, beide Damen blutüberströmt. Solange ich das Baby in Händen hielt, das noch durch die Nabelschnur mit Lynn verbunden war, konnten sie mich jedoch weder nach Waffen durchsuchen noch mir Handschellen anlegen. Als den Jungs klar wurde, dass ich ein Neugeborenes in Händen hielt und nicht Lynns Eingeweide, die ich ihr gerade herausgerissen hatte, drehten sie durch. Keiner von ihnen schien sich zu erinnern, dass Lynn einen Einbruch gemeldet hatte und sich der Einbrecher logischerweise noch vor Ort befinden konnte.
Arthur war in der Nacht zu einem Raubüberfall abberufen worden, tauchte nun aber auch auf, so nervös und von Angst wie von Sinnen, dass er bereit war, jemanden umzubringen. Bis er Lynn und all das Blut entdeckte, fuchtelte er wild mit der Pistole herum. Dann schrie er nur noch lauthals nach einem Krankenwagen. Jack Burns persönlich drängte sich an den Rideouts vorbei, um ans Telefon im Schlafzimmer zu gelangen.
Schnell wie der Blitz stand Arthur neben mir. „Das Kind!“ Er stotterte, er wusste nicht, was er mit seinem Schießeisen tun sollte.
„Leg die Knarre weg und nimm es!“, sagte ich, möglicherweise etwas scharf. „Das Baby hängt immer noch an Lynn, und ich weiß nicht, was ich diesbezüglich tun soll.“
„Lynn, wie geht es dir?“ Arthur schien nicht mehr klar denken zu können.
„Schatz, leg dir ein Handtuch über den Anzug und nimm deine Tochter“, befahl seine Ehefrau mit kraftloser Stimme.
„Meine – oh!“ Unbeholfen packte er seine Pistole in das Holster, bückte sich und nahm ein Handtuch von dem Stapel, den ich vorsorglich aus dem Bad mitgebracht hatte. Ob sich Jane je hätte träumen lassen, welchem Zweck ihre mit handgesticktem Monogramm geschmückten weißen Baumwollhandtücher einmal dienen würden? Von ganzem Herzen erleichtert, reichte ich das Baby an seinen Vater weiter und stand auf, mehr als froh, den Platz zwischen Lynns Beinen räumen zu dürfen. Mir zitterten alle Muskeln im Leib in einem Gemisch aus Furcht, Schmerz und Schreck. Inzwischen waren Sanitäter eingetroffen. Einer von ihnen stürzte auf mich zu. „Sind Sie die Geburt? Sind Sie verletzt?“
Mit bebenden Fingern wies ich auf Lynn – ich konnte ihm nicht verdenken, dass er mich für schwer verletzt gehalten hatte, war ich doch voller Blut. Einiges stammte von Lynn, anderes von Torrance, ein wenig von mir selbst.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“
Als ich mich der Stimme zuwandte, entdeckte ich Torrance direkt neben mir. Was für ein bizarres Gefühl!
Ich nickte. „Bald wieder“, sagte ich erschöpft.
„Es tut mir so leid. Ich bin nicht zum Kriminellen geschaffen.“
Ich dachte an die dilettantischen Einbrüche, bei denen er noch nicht einmal etwas mitgenommen hatte, um wenigstens einen rudimentären Eindruck der Echtheit zu hinterlassen. Ich nickte.
„Warum haben Sie es getan?“, wollte ich wissen.
Plötzlich wurde sein Gesicht hart und verspannte sich völlig. „Einfach so“, sagte er.
„Als Jane den Schädel ausgrub, haben Sie den Rest der Leiche ausgebuddelt und die Knochen im Gestrüpp beim Sackgassenschild versteckt?“
„Ich wusste, dass da noch Jahre niemand aufräumen würde“, sagte er. „Damit hatte ich auch Recht. In meinem Kofferraum mochte ich die Knochen nicht unterbringen, auch nicht kurz und vorübergehend, davor hatte ich zu große Angst. Ich wartete die nächste Nacht ab, in der Macon wieder
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